PRAG / BRNO – August : 2022

Eigentlich reicht eine Tour für den Sommerurlaub möchte man meinen und mit Färöer/Island war es ja auch ein recht langer. Aber ich muss noch meine Überstunden wegkriegen vor Ende August. Und da haben sich gerade im letzten Jahr einige angesammelt. Nun ist also die Zeit.

Ein Ziel habe ich mir nicht wirklich vorgenommen, will mich bissel um meine Wohnung kümmern. Aber 14 Tage?

Ganz ohne Erwartung schaue ich mal wieder auf der Homepage der Villa Tugendhat vorbei. Eine Architektur-Ikone, die ich schon lange auf dem Schirm habe. Und plötzlich öffnet sich ein Zeitfenster für meine letzte Urlaubswoche. Augenblicklich ist klar, wo es hingeht. Nach Brno, denn da steht das Dingen. Bis vor Corona war nicht wirklich dran zu denken, denn die Touren durch die Villa waren bis über ein Jahr im Voraus ausgebucht. Absolut irre. Aber nun habe ich einen Termin. Und einen Plan. Nach unserem Spiel in Kiel fahre ich erst zur Burg Helfštýn.

Die Burg ist ne gute Stunde von Brno entfernt und um hinzukommen muss ich schon Teile der Nacht bemühen. Aber, und das ist bei 753 km schon bissel kurios, ich rolle Punkt 9:00 Uhr zur Öffnungszeit der Burg auf den Parkplatz. Als wenn ich es genau so geplant hätte.

Liebend gern hätte ich es mit der Bahn gemacht, Nachtzüge und so, mit Bussen kombiniert, aber es hätte jeweils doppelt so lange gedauert als mit dem Auto. Und dann hätte ich am Ende zu wenig durchgekriegt von meinem selbestgewählten Plan.

Wie auch immer. Die Burg habe ich in Erinnerung als die Traumburg mit diversen großen Burghöfen und überhaupt mit dieser ganzen Ritterromantik und so. Kinderphantasien. Aber wir waren hier ja schließlich mal, 1976. Im Urlaub. Und da hat sie mich schwer beeindruckt, das ist überliefert. Und heute sehe ich, warum sie mich so beeindruckt hat als achtjähriger Bub. Schön, diese Burg mit Wurzeln im 13. Jhdt. wieder mal zu sehen. Vier Burghöfe, mächtige Mauern, mächtige Burggräben und ein pittoresker Bergfried, ganze Menge los hier.

Danach zum Schloss Lednice, welches auch im Umland von Brno liegt. Sehr sehr schickes neogotisches Schloss mit reicher Geschichte.

Tolles Teil, tolle warme Farben allüberall hier. Bester Urlaubsauftakt, fein dass ich das im Vorfeld gefunden habe. Eine kleine Perle mit schicken Repräsentationsräumen, Garten und Palmenhaus.

Das Hotel in Brno liegt mitten in der Stadt, aber viel läuft heut nicht mehr, die Nachtfahrt fordert ihren Tribut.

So startet das Brno-Programm am Folgetag. Vom Hotelfenster schau ich auf die Festung, also ist klar, mit der Festung Špilberk geht’s los. Im 13. Jhdt. angelegt, ist sie lange Zeit Burg der böhmischen Könige und Sitz des mährischen Markgrafen, später auch als Festung, Kaserne oder Gefängnis genutzt.

Weiter geht‘s in die Stadt, die Festungswälle will ich sehen, wobei genau der Teil, der als interessant beschrieben wird, irgendwie steril und künstlich wirkt. Egal, er ist nicht allzu lang und ich bin schnell an der Peter und Paul Kathedrale, die vor allem deswegen spannend ist, weil man auf die beiden Türme raufkommt. Schicke Aussicht.

Danach weiter durch die Innenstadt zur Kapuzinerkirche mit der Gruft und ausgestellten Mumien. Reizvoll sind die Mumien schon und doch schauderts mich irgendwie.

Danach auf den Rathausturm. Schicker Blick. Brno weiß durchaus zu gefallen. Ich habe irgendwo gelesen, dass Brno dabei sei, in Sachen Attraktivität und Beliebtheit Prag den Rang abzulaufen. Das würde ich ausschließen. Brno ist hübsch, Brno ist attraktiv, aber eine Konkurrenz oder was auch immer zu Prag? Nein.

Brno hat 379.526 Einwohner und damit

  • gut ein Drittel von Prag (1.309.000)
  • aber ungefähr so viel wie Island (366.425)
  • oder knapp acht mal so viel wie die Färöer (48.865)
  • und immer noch knapp sieben mal so viel wie Grönland (56.357)

Dafür haben die Färöer mehr Fläche mit 1.393 km2. Island ja sowieso mit 103.000 km2 und Grönland erst recht mit 2.166.000 km2, aber eben so deutlich weniger EW, aber wie soll man auch leben auf einem Eispanzer.

Auch ist Prag deutlich größer, hat 497 km2, dagegen Brno nur 230 km2.

Man könnte auch ganz einfach sagen: Brno hat zwar schon deutlich mehr Einwohner als Braunschweig oder Magdeburg, sortiert sich von der Fläche aber ungefähr hier bei BS und MD ein (Braunschweig: 248.292 EW, Fläche 192,1 km2 – Magdeburg 238.697 EW, Fläche 201 km2).

Und dann ist der Tag angebrochen, weswegen ich eigentlich in Brno bin. Auf zur Villa Tugendhat. Eine Architekturikone. Bauhaus, Form Follows Function, klare einfache Kanten – all die Begriffe gelten auch hier oder insbesondere hier. Mies van der Rohe hat sich ein Denkmal gesetzt, definitiv. UNESCO-Welterbe, also hier werden alle Register gezogen. Und dementsprechend beliebt sind die Führungen durch die Villa und müssen kanalisiert werden. Vor C. sind die Touren für Monate ausgebucht, für Mo-na-te. Ich hatte selbst mal nen vergeblichen Anlauf unternommen und war in einem Buchungszeitraum gelandet, der noch gar nicht zur Verfügung stand, kenne ich ja nur von Airlines. Völlig irre.

Zurück zur Villa. Wow. Grandioses Teil und sehr informative Führung. Unfassbar detailreich, so wie die Villa halt.

Insbesondere die riesige Glasfront beeindruckt. Auf verschiedene Weise. Einerseits ist die Villa so in die hügelige Landschaft eingepasst, dass nicht sofort offenbar wird, welche Größe da vor einem steht. Mindestens nicht von der Straßenseite. Harmonisch passt sich die Glasfront in den Garten ein. Erst von Innen zeigt sich die Größe, beeindruckendes Teil. Mit beeindruckender Panoramasicht, die Kirchen und Burg immer vor Augen. Energetisch ja grundsätzlich nicht einfach zu händeln so ein Teil, aber das Heizungs- und Lüftungssystem, was sich van der Rohe überlegt hat, ist topmodern und meistert das.

Die Villa Tugendhat wird von 1929 bis 1930 nach Plänen von Ludwig Mies van der Rohe errichtet für das Unternehmer-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat. Die Villa zählt definitiv zu den bedeutendsten Bauten Mies van der Rohes in Europa – ein Meilenstein der modernen Architektur, eine Ikone der Architektur wie Villa Savoye, Haus Robie oder Haus Schminke.

Zur Straße hin ist die Villa unspektakulär und eingeschossig, während sie sich zur steil abfallenden Gartenseite mit Wucht eine riesige spektakuläre Fensterfront zeigt, die gleichzeitig den Blick auf die Altstadt öffnet. Ausgeführt ist das Haus in Stahlskelettkonstruktion, was van der Rohe die Möglichkeit gibt, die Tragkonstruktion und die Wände voneinander getrennt auszuführen, Effekt dabei sind die markanten Säulen, die nicht nur tragende Funktion haben, sondern gleichzeitig auch eine ästhetische Funktion erfüllen.

Die Dimensionen des Wohnraumes sind nicht wirklich zu erfassen, er ist als großes, offenes, frei fließendes Areal angelegt. Essbereich, Arbeitsbereich, Sitznischen und Wohnbereich werden durch frei im Raum stehende Elemente definiert. Neben edlen Materialien ist die Villa technisch auf dem allerneusten Stand.

Überliefert ist, dass sich Grete Tugendhat ein Haus mit klaren, einfachen Formen wünschte, dass hier die Ideen von Bauherr und Architekt in Übereinstimmung sind, davon kann ausgegangen werden.

Acht Jahre hat die Familie etwas von der Villa, dann, 1938, müssen sie flüchten vor den Nazis. Zunächst von den Nazis genutzt, später von der Roten Armee, nutzt bis in die 50/60er Jahre ein benachbartes Krankenhaus die Villa.

Wegen seines außerordentlichen Wertes wird das Haus im August 1995 zu einem Nationalen Kulturdenkmal erklärt, 2001 folgt die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste.

Nachdem die Erben 2007 die Wiederherstellung des Gebäudes beantragen, steht die Villa nach Abschluss der Restaurierungen seit dem 6. März 2012 der Öffentlichkeit zur Verfügung. Hier ist noch mehr zu lesen: wiki / tschechischblog / houzz-magazin.

Bei brütender Hitze kommt mir mein nächstes Ziel sehr entgegen, denn es ist kühl. Die Beinhäuser der St.-Jakobs-Kirche, zweitgrößtes Beinhaus in Europa, gleich nach dem Pariser. Die Zahl der hier Bestatteten wird auf über 50.000 geschätzt. Im Mittelalter werden Friedhöfe in der Regel innerhalb der Stadtmauern errichtet, so auch der Friedhof der Jakobs-Kirche. Spätere Erweiterungen schwierig, die Kapazitäten bald erschöpft.

Ein Austauschsystem für Bestattungen muss her. Ca. zehn Jahre nach der Beerdigung wird das Grab geöffnet, die Überreste entnommen und an derselben Stelle der nächste Verstorbene beigesetzt. Die ursprünglich im Grab liegenden Gebeine werden in Ossarien oder Beinhäuser umgesiedelt. Später – im Zuge der Josephinischen Reformen 1784 – werden kirchliche Friedhöfe aus hygienischen Gründen aufgelöst, der Tod wird verbannt an die Stadtränder. Teilweise geraten Beinhäuser in Vergessenheit, teilweise finden die Gebeine in den Krypten ihren Platz. Wie auch immer, in Brno gibt es das Beinhaus und es lässt sich besichtigen.

Gleich um die Ecke ist auch die acht Meter hohe kuriose Statue von Jobst von Mähren, einem Kind der Stadt (1351-1411), Markgraf von Mähren und Herzog von Luxemburg.

Dann noch Marktplatz und Unabhängikeitsplatz, aber das wars dann eigentlich schon. Labyrinth unter der Stadt lasse ich weg, kein Bock auf eine Führung und der beworbene Z-10 Bunker ist ein ganz schlechter Witz. Geht gar nicht. Sicher gibts noch irgendein Museum, was man noch hätte machen können, aber eigentlich sind die Highlights von Brno damit durch.

Am nächsten Tag gehts nach Prag ins K+K Hotel Central, eines der ältesten Jugendstil-Gebäude in Prag (1899). Jugendstil at it’s finest. Feine Fassade, beste Lage, beste Ausstattung. Ganz besonders gefällt mir der Früstücksbereich, der einfach in die große Jugendstilhalle hineingebaut ist und bissel den Eindruck zu erwecken vermag als schwebe er darin.

Auf zum Pulverturm (15. Jhdt.), der einen spektakulären Blick zur Teynkirche bereithält.

Direkt daneben das Obecní dům (1906-1922 errichtet). Das Gemeindehaus oder Repräsentationhaus mit Restaurant, Kaffee und Ausstellungsräumen und einer Bierhalle von schlichter und liebenswerter Schönheit. Prunkstück ist der Smetana-Saal, Heimat der techeschichen Symphoniker, am Abend gibts hier Vivaldi und noch paar Sachen, bestens. So kann ich den prunkvollen Saal gleich live erleben.

Schade, dass Vivaldi nicht mehr Besucher hat, das hat definitiv mehr verdient. Und auch der Saal hat eigentlich mehr Leute verdient. Aber nicht zu ändern, genossen habe ich es dennoch sehr.

Alles hier atmet Jugendstil und setzt der ja zuweilen überbordenden Verspieltheit ein lebendiges Denkmal. Nix passt besser hierher als die Mucha-Ausstellung möchte man meinen. Das ganze Haus hatte ich so noch nicht auf dem Schirm, lediglich als Fotomotiv von außen – eine der Entdeckungen dieser kurzen Reise! Am 28. Oktober 1918 wurde auf dem Balkon die Tschechische Republik ausgerufen.

Der Jugendstil ist der letzte der universalen künstlerischen Stile, der an der Wende des 19. Jahrhunderts zum 20. Jahrhundert praktisch die ganze westliche Zivilisation ergriffen und mit seinen typischen bildkünstlerischen Elementen die Architektur, Malerei und Bildhauerkunst geprägt hat.

Der Zauber des Jugendstils bestand aber vorwiegend darin, bis zu welchem Ausmaß er das Alltagsleben durchdrungen hat. Damenmode, Schmuckstücke, Plakate auf der Straße, Möbel und Geschirr – alles war vom Design des Jugendstils geprägt. Sogar die Stationen des damals neuen und super modernen Verkehrsmittels – der U-Bahn – wurden unter dem Einfluss dieses neuen Modestils gebaut, der in der deutschen Sprache Jugendstil, im Französischen Art Nouveau, Stile floreale oder Stile Liberty im Italienischen, Estilo Modernista im Spanischen und Secese im Tschechischen hieß. Quelle

Tags drauf starte ich meine 2-tägige Tour durch Prag mit Erinnerungen, Kubismus und noch bissel mehr Jugendstil. Altstädter Ring, Karlův most, das Strahovský klášter, eigentlich ja nur die Bibliothek. Die Strahover Bibliothek mit dem „Theologischen Saal“ (1671–1679 errichtet) und dem „Philosophischen Saal“ (1783–1790 errichtet).

In unmittelbarer Nähe ist der Petřín, gewissermaßen der Eiffelturm von Prag. 63,5 Meter ist der Stahlfachwerkturm hoch, erbaut anlässlich der Prager Industrieausstellung 1891 als verkleinerter Nachbau des Eiffelturms. Der Blick auf Prag ist unbeschreiblich schön.

Ein weiteres Thema sollen heuer die anderen Türme sein. Pulverturm, Altstätder Brückenturm, Turm des Altstädter Rathauses. Coole Türme, coole Panoramen. Highlight ist – zumindest in meinen Augen – natürlich der Petřín. Das heißt ja nicht, dass die anderen Türme uncool wären, im Gegenteil. Aber der Petrin, der kleine Eiffelturm, ist schön und cool und aus Stahl und Holz und erinnert mich in der Tat an den Eiffelturm in Paris, der Besuch dort ist ja noch nicht lange her.

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ich hier war, eigentlich viel zu lange, nach wie vor ist die Stadt ein Träumchen. Sicher, es sind deutlich zu viele Touristen hier und damit sind gerade die Highlightecken recht voll, aber abseits davon ist es durchaus erträglich.

Der Kubismus ist z.B. glaub ich nicht das Thema des Durchschnittstouristen, wenn man mal vom Haus zur Schwarzen Muttergottes absieht. Im Museum sind’s dann schon deutlich weniger Leute und an dem einen oder anderen Punkt recht weit außerhalb des eigentlichen Zentrums bin ich dann allein. Danke Henning für die Tipps.

Das Haus der Schwarzen Muttergottes ist sicher das Hauptwerk der tschechischen kubistischen Architektur, 1911–1912 nach den Plänen des tschechischen Architekten Josef Gočár errichtet. Der Name kommt von der Barockstatue der schwarzen Madonna mit Kind, die sich an der Ecke des Hauses befindet.

Ganz selbstbewusst sagt Prag, das die Prager kubistische Architektur weltweit einzigartig ist, was so stimmen dürfte.

Kubismus verbindet man ja sicher eher mit Picasso oder meinetwegen Kandinky, aber in der Architektur? Wohl eher weniger. Und dennoch – einige Bauten sind gerade in Prag zu finden. So gesehen mehr als eine Episode, auch wenn die Zeit gerade in der Architektur recht kurz blieb.

Empfunden haben die Zeitgenossen den Stil als chaotisch, extravagant und unpraktisch. Schwer sich zwischen Historismus, Jugendstil, Moderne zu behaupten, ein paar Architekten schafften es dennoch, ihre Spuren in Prag zu hinterlassen. Vlt. auch, weil der Anspruch umfassend war und sich auf Bereiche wie Einrichtung und Interieur erstreckte.

Was auffällt: polygonalen Formen, schräge, schiefe Flächen, dennoch viele Symmetrien, kristalline Formen und Dekore. Kein Wunder, als die ideale Figur sehen die Kubisten den Kristall in allen Facetten. Manches ist sicher etwas gewöhnungsbedürftig, gerade weil es unseren Blick in Frage stellt, weil es ursprüngliche Formen in Frage stellt, die lotrechte oder waagerecht Linie in Frage stellt. Und insgesamt mit den Formen spielt, einen ganzheitlichen Ansatz favorisiert. Sehr sehr spannend.

Dem Sohn der Stadt Franz Kafka wird in seinem Museum gehuldigt. Das ist mittlerweile auf der Kleinseite. Früher war es am Altstädter Ring. Aber das ist wirklich schon sehr lange her. An anderer Stelle, in der Nähe des Wenzelsplatzes steht Franz Kafkas Rotating Head. Wahrlich abgedreht, aber in seiner Vielschichtigkeit durchaus kafkaesk.

Mit feinsten Blicken vom Altstädter Rathausturm geht eine sehr aufregende Woche zu Ende.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.