Letztes Flutlichtspiel im Ernst-Grube-Stadion – 04.12.2004

Endlich komme ich zu Flutlichtbildern vom Ernst-Grube-Stadion, ich hatte ja an anderer Stelle schon erwähnt, dass ich – aus welchen Gründen auch immer – nie Flutlichtbilder vom Grube gemacht habe. Und irgendwo zusammenklauen – nee. Letzten Freitag dann eine unverhoffte Geschichte. Aber lest selbst Robins Geschichte:

Ein Freitag in Corona-Zeiten. Das Kontaktverbot ist zwar wieder etwas gelockert und man darf sich auch mit Menschen jenseits der eigenen Familie in der Öffentlichkeit treffen, an den Besuch von Fußballspielen oder gar Reisen mit dem Ballerbus ist im Mai 2020 aber natürlich noch nicht zu denken. Holger und ich wollen aus der Situation dennoch das Beste machen und verabreden uns auf ein paar Feierabendbiere auf einer Bank am Ringgleis mit herrlichem Blick in das Nachwuchsleistungszentrum der Eintracht.

Und als gäbe es nicht auch so genug zu erzählen, über Corona, die Eintracht und die Gesellschaft an sich, kommen wir irgendwann auf das Ernst-Grube-Stadion zu sprechen – so ticken vermutlich wirklich nur (positiv) Fußballverrückte. Und so erfahre ich, dass Holger mit seiner zweiten großen Liebe, dem 1. FC Magdeburg, zwar einige rauschende Europapokalnächte im „EGS“ erleben durfte, diese Flutlichtspiele – warum auch immer – aber nie fotografisch festgehalten hat. Auch irgendwie verrückt – und ein Glück, dass ich trotz deutlich jüngerem Alter hier aushelfen kann. Denn ich habe Bilder von einem Flutlichtspiel, sogar dem Letzten, um genau zu sein.

Es war der 4. Dezember 2004 – ein Datum, das zumindest in die Magdeburger Fußballgeschichte eingehen sollte. Abpfiff für immer im Grube-Stadion, Abpfiff in dieser Schüssel voller Fußballhistorie, natürlich ganz in Blau-Weiß. Hier legte der FCM den Grundstein für seinen Europapokaltriumph von Rotterdam, den bekanntlich einzigen Europapokalsieg der DDR, hier gastierte unsere Eintracht bereits vor der Wende zu ersten Spielen der Annäherung – Grundlage für die heutige Fanfreundschaft, vielleicht auch für die Städtepartnerschaft. Am heutigen 4. Dezember sollten die zweifellos sehr markanten Flutlichtmasten ein letztes Mal bei einem Punktspiel eingeschaltet werden – zwar folgte wenig später noch ein Abschiedsspiel gegen den VfL Wolfsburg (warum eigentlich das?), aber der wahre Abschied fand heute statt, gegen den FSV Zwickau. Eine zweifellos brisante Partie, sind die Sachsen doch Dynamo Dresden in enger Freundschaft verbunden und diese bekanntlich Erzrivale des FCM.

Für mich, damals 14 Jahre alt, ein erstes Highlight der noch jungen „Hopper-Karriere“ und ein entsprechender Pflichtbesuch. Sogar mein Vater musste mit, von ihm gab es seinerzeit für gute Noten (insbesondere in den eher mauen Fächern der Naturwissenschaft) kostenlose Fußballreisen als Belohnung (was entsprechend eher selten vorkam). Seine Begeisterung hielt sich im Vorfeld auch in Grenzen, waren unsere letzten Besuche bei Ajax Amsterdam im Holland-Urlaub oder Tampere United im Finnland-Urlaub eher ziemlich langweilige Veranstaltungen gewesen. Das sollte sich heute ändern!

Es mag für jemanden, der die DDR noch erlebt hat, etwas naiv klingen, aber für mich waren Fahrten in die neuen Bundesländer auch im Jahr 2004 teilweise noch eine Reise in eine „neue Welt“. Natürlich waren Ost und West längst zusammengewachsen, aber Plattenbauten, Doppelstockzüge, alte Straßebahnen aus dem Ostblock oder eben Stadien wie das Grube-Stadion übten doch eine gewisse Faszination auf mich aus. Das mag arg klischeehaft klingen, aber liegt vielleicht eben genau daran, dass die „echte“ DDR nie erleben konnte.

Entsprechend groß waren die Augen im Umfeld des EGS, wo genau diese Straßenbahnen uns zum Stadion rumpelten und die Flutlichtmasten schon von weitem sichtbar wurden. Verstärkt wurde die Aufregung natürlich durch das gewisse Knistern eines Risikospiels: Als Leser diverser Fanzines kannte ich die Brisanz des Spiels auf den Rängen aus der Theorie, nun sollte die Praxis folgen. Und wie!

Ich erinnere mich noch gut, wie die Zwickauer Fans an den FCM-Kneipen rund um das Stadion unter lauten Böllerwürfen vorbeigeführt wurden und ich meinem Vater verdeutlichte, dass wir in jedem Fall rechtzeitig im Stadion sein müssten. Ohne den Teamchef damals gekannt zu haben, waren wir daher auch knapp 90 Minuten vor Anpfiff im Rund und wurden zwar nicht Zeuge von wilden Rennereien auf den Rängen, dafür des Auftritts von „Theo Tintenklecks“, dem Maskottchen der Magdeburger Volksstimme. Sein „Ich bin Theooo, Theo-Theo, Theo-Theo, Tintenkleeecks“ habe ich, warum auch immer, bis heute im Ohr. Im Kopf bleiben dazu die Erinnerungen an die alten Holzbänke auf der Gegengerade, die so heute mit Sicherheit keine Zulassung mehr erhalten würden. Und natürlich die für ostdeutsche Stadien typischen Tröten.

Dass das Spiel 3:1 ausging, weiß ich noch, viel mehr vom Spielverlauf aber auch nicht. Wichtiger war ohnehin, was auf den Rängen stattfand: Zum Einlaufen zeigte die „Blue Generation“, den heutigen Block U gab es ja schon baulich damals nicht, eine 1a-Pyroshow und würdigte mit einem teilweise durchsichtigen Spruchband das Ernst-Grube-Stadion. Ein würdiges Bild, das ich wie wild mit meiner kleinen und nicht unbedingt für die Dunkelheit gemachten Digi-Cam auf dem technischen Stand des Jahres 2004 festhielt.

Auch die Zwickauer ließen sich nicht lumpen und feuerten einige Bengalos sogar in den Innenraum – eine Art Ablenkungsmanöver, um im Schatten des Feuerwerks einen kleinen Angriff auf die Heimkurve zu wagen, der jedoch scheiterte.

Beeindruckend dagegen die fast schon mystische Pyroshow Nummer zwei an diesem Abend, bei der mittles zweier weißer Rauchwolken, die durch die klare Abendluft in einer Art zusammenhängenden Wolke über den Platz zogen, ein irgendwie faszinierendes Bild geschaffen wurde. Und mir als Sohn die Erkenntnis brachte, dass mein ansonsten wenig zum Fußball fahrender Vater durchaus Sympathien für die Fan- und Ultrakultur zeigte, beeindruckten auch ihn diese Bilder – endlich mal ein Spielbesuch, der sich auch für ihn gelohnt hatte.

Dennoch blieb es auch für uns die letzte Gelegenheit, das „EGS“ zu besuchen, wenige Wochen später rollten die Bagger. Und auch wenn es im neuen Stadion für den FCM auf und neben dem Platz, so ehrlich muss man sein, wieder aufwärts ging, kann der neue Kastenbau natürlich nicht ansatzweise mit der alten Schüssel mithalten. Klar müssen kleine Vereine sparen und deshalb wohl auch beim Stadionneubau eher Architektur von der Stange nehmen. Dass man aber nicht wenigstens die Flutlichtmasten erhalten hat, wie es in Rostock gelungen ist, ist eigentlich ein Ärgernis. Denn so erinnert heute fast nichts mehr an den alten Ground des FCM und wer als junger Mensch heute erstmals zum Club geht, dem fehlt dieses Stück Identität. Ein Grund mehr, warum ich so dankbar bin, dass unsere Eintracht weiter am Stadion an der Hamburger Straße festhält, aller Laufbahndiskussionen zum Trotz. Aber das ist eine andere Geschichte, Stoff genug für die nächste Feierabendrunde am Kennel …

Text und Bilder: Robin

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