Schostakowitsch-Festival Leipzig – 15. Mai – 01. Juni 2025 – (24.05. – 01.06.2025)

Vom 15.05. – 01.06.2025 ist in Leipzig das Schostakowitsch-Festival, schon ein Jahr zuvor ordere ich die Karten und freue mich seitdem drauf. Es wird spannend sein, was GMD Andris Nelsons, das Gewandhausorchester und das Boston Sinfonie Orchester auf die Beine stellen werden.

Vom 15. Mai bis zum 01. Juni 2025 lädt das Gewandhaus zu einer der umfangreichsten Werkschauen von Dmitri Schostakowitsch anlässlich seines 50. Todestages nach Leipzig ein. Unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons und Anna Rakitina interpretieren das Gewandhausorchester, das Boston Symphony Orchestra und das eigens für das Festival gegründete Festivalorchester – bestehend aus Mitgliedern der Mendelssohn-Orchesterakademie, des Tanglewood Music Center Orchestra und aus Studierenden der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig – alle Sinfonien und Solo-Konzerte Dmitri Schostakowitschs. Eine handverlesene Riege von Weltklassekünstlerinnen und -künstlern, darunter Daniil Trifonov, Nikolaj Szeps-Znaider und Baiba Skride, gestaltet die umfangreiche Kammermusikreihe. Zwei Aufführungen der Oper »Lady Macbeth von Mzensk« an der Oper Leipzig unter Leitung von Andris Nelsons runden das umfangreiche Festivalprogramm ab. Quelle

Und so beginnt mein eigenes Schostakowitsch-Festival:

I: 24.05.2025 – 19:30 Uhr – 7. Sinfonie „Leningrader“

Die 7. Sinfonie ist ein Monument, ist gewaltig, ist überwältigend. Schön und brutal im schönsten Sinne zugleich. Ich liebe diese Sinfonie, ich liebe ihren Rhythmus, ihre sich steigernde Dramatik, ihre Power, ihre Aussage. Würde Schostakowitsch heute noch leben, würde er feinsten Metal spielen. Standing Ovations minutenlang, nicht nur ich bin völlig platt und überwältigt.

Für Geigerin Julia Fischer ist die 7. Sinfonie von Schostakowitsch ein Monument, das auf vielen Ebenen basiert. Julia Fischers Lieblingsstück ist Schostakowitschs 7. Sinfonie „Leningrader“: Für mich ist die siebte Sinfonie ein Monument aus dem 20. Jahrhundert, das vor allem vom 2. Weltkrieg geprägt wurde. Dieses Werk erzählt ein Stück Geschichte und stellt den Faschismus musikalisch dar. Zum ersten Mal habe ich die Sinfonie in einer Aufnahme mit dem Concertgebouw-Orchester ­unter Mariss Jansons gehört, also nicht im Konzertsaal, sondern zu Hause. Ich finde es faszinierend, auf wie vielen Ebenen Schostakowitsch diese Sinfonie geschrieben hat. Es gibt zum einen diese sehr oberflächliche Sichtweise: Invasion, Trauer, Sieg. Aber darunter existieren noch viele weitere Schichten, so wie bei fast allen seinen Werken.

Dadurch hat er vor allem sich selbst geschützt. Vieles durfte er in der Sowjetunion nicht sagen. Die Sinfonie kann zunächst als Lob auf den Kommunismus und auf Stalin gesehen werden. Darunter verbergen sich in Wahrheit aber Kritik, Wut und Verzweiflung. Beispielsweise stammt das Motiv des ersten Satzes aus Franz Lehárs Operette „Die lustige Witwe“, Hitlers Lieblingsstück. Schostakowitsch hat es eingebaut, um die Invasion der Deutschen auf St. Petersburg musikalisch darzustellen. Ähnlich wie bei Ravels „Boléro“ erklingt erst die kleine Trommel, die allmählich lauter wird. Nach und nach spielen immer mehr Musiker mit, sprich: Die Truppen rücken weiter vor. Wenn ich diese Sinfonie höre, habe ich den Eindruck, als würde ich in die Geschichte hineingezogen werden. Und das ist meiner Meinung nach genau die Aufgabe von Musik. Sie soll die Grenze der Zeit überschreiten. Das gelingt Schostakowitsch in dieser Sinfonie unbeschreiblich gut. Quelle

Spannend finde ich auch das hier:

Die sowjetische Propaganda beschrieb das sich in immer massiveren Variationen entfaltende Bolero-Thema im 1. Satz als die herannahende Aggression der deutschen Nazi-Barbaren. Dabei hatte Schostakowitsch das „Invasionsthema“ als Skizze für eine Passacaglia bereits vor dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion 1940 komponiert. Aber Schostakowitsch war klug genug, nicht zu widersprechen. […]

Erst lange nach Stalins Tod sagte er: „Mit Gedanken an die Siebte beschäftigte ich mich schon vor dem Krieg. Sie war daher nicht das bloße Echo auf Hitlers Überfall. […] Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten.“

Heute ist die „Leningrader“ Symphonie eine Mahnung für uns alle, wissend, was politische Willkür, autoritäre Macht und Repression anzurichten vermag. Quelle

II: 25.05.2025 – 11:00 Uhr – Chorwerke

Spannend, aber trifft nicht das, was ich erwartet bzw erhofft habe, hab allerdings auch vorher nicht geschaut, was da ansteht, auf-mich-zukommen-lassen finde ich immer wieder den spannenden Zugang. So war recht schnell klar, dass es hier nicht das volle Orchester gibt und nicht den vollen Opernchor. Also weniger Bombast quasi. Spannend allemal.

Nach den Chorwerken am 25.05. bei leichtem Regen noch durch paar vielleicht nicht so bekannte Ecken von Leipzig, Lost Place Lokschuppen, Kohlrabizirkus und Panometer. Krochsiedlung und Versöhnungskirche müssen dann vlt. noch folgen. Viel kann ich über den Lokschuppen nicht herausfinden, aber gut, das ist dann halt so. Vermutlich Anfang des 20. Jhdt. gebaut, da auch die umliegenden kleineren Bahnhöfe dort in diesem Zeitraum entstanden sind.

III: 26.05.2025 – 19:30 Uhr – Lieder

Kurz und knapp – nicht ganz so dolle.

27.05.2025 – 20:30 Uhr – Relegation Rückspiel – BTSV – 1.FC Saarbrücken 2:2 nV -> Klassenerhalt

Nicht immer kann das gut gehen, zum dritten Mal nacheinander fordern wir das Glück heraus, zum dritten Mal halten wir die Klasse. Meinen unerschütterlichen Optimismus stellt der BTSV ein ums andere Mal auf die Probe:-)

IV: 28.05.2025 – 19:30 Uhr – 13. Sinfonie „Babi Jar“

Gerade der erste Satz ist von so bedrückender Dramatik, das geht tief unter die Haut. Hier mehr zu dem Massaker von Babi Jar.

V: 29.05.2025 – 11:00 – 2. Sinfonie „An den Oktober“ – 3. Sinfonie „Zum 1. Mai“ – 1. Sinfonie

An Christi Himmelfahrt begleiten mich Mutti und Kerstin. Zunächst zu den Sinfonien 1 + 2 + 3. Auch hier wieder der nachhaltige Schostakowitsch-Eindruck. Es ist eine andere Musik, sie fordert die Sinne, sie berauscht aber auch die Sinne. Auch heute wieder ein beeindruckender Sinfonie-Tag.

Danach schlendern wir durch die Stadt mit Rathaus, Thomaskirche und Essen in Auerbachs Keller. Es ist alles gerammelt voll, auch wegen des stattfindenden Turnfestes, aber so ist es halt. Auerbachs Keller ist so semi, schöner Gewölbekeller zwar, aber vor allem der Service gerade für den Namen eher schlecht. Essen gut, aber nicht überragend.

VI: 29.05.2025 – 17:00 – Lady Macbeth von Mzensk

Ortswechsel: mal nicht im Gewandhaus geht es weiter mit den Schostakowitsch-Festspielen, sondern in der Leipziger Oper. „Lady Macbeth von Mzensk“ ist keineswegs schöne Oper im Sinne von Puccini zb, das ist schon harter Stoff. Schostakowitsch macht es einem auch hier nicht einfach, weder musikalisch noch vom Stoff. Und die Inszenierung steht dem in nix nach. Krass-konsequente Inszenierung. Auch wenn es sich vielleicht nicht so liest, ein schwer beeindruckender Opernabend.

30.05. Fr: PSV Braunschweig – Acosta IV – 3:2 – 2. KK Aufstiegsrunde

Das Finale der Kreisklassen-Aufstiegsrunde nehmen wir gemeinsam mit, nach einem leckeren Frühstück fahren Bine und ich gen Leipzig. Das zweite Finale des Wochenendes steht an. Kurze Enttäuschung und Irritation beim Hotel: es ist heiß, die Klimaanlage funktioniert nicht und das Personal vermittelt erfolgreich den Eindruck, dass es ihm entweder egal ist oder es diesbezüglich überfordert ist. Was keinen Unterschied macht.

Wir begeben uns recht schnell Richtung Hauptbahnhof, dem größten Kopfbahnhof Europas. Hier paar Sachen zur Geschichte mit echt coolen Bildern: Stadt Leipzig

VII: 31.05.2025 – 19:30 Uhr – Schostakowitsch – 9. + 12. Sinfonie

Der Vorabend des Finales lässt dann keine Fragen offen, die Begeisterung für Schostakowitsch bleibt.

VIII: 01.06.2025 – 11:00 Uhr – Schostakowitsch – 14. + 10. Sinfonie – Abschlusskonzert

Es steht an, das Abschlusskonzert und ich teile es mit Bine. Nocheinmal wird die Dynamik der Schostakowitschen Sinfonien sozusagen idealtypisch zusammengefasst/-führt bei der 10. Sinfonie. Die Sinfonie ist der würdige Abschluss, genauso wie die 7. der würdige Start war, zumindest für mich. Wieder ist das Schlagwerk ein Star des Tages, gleichwohl ist es wie ich finde unfassbar stark, wie Schostakowitsch einzelnen Instrumenten ihren Auftritt beschert in einer Sinfonie und eben nicht nur dem Schlagwerk. Ganz große Kunst. Beeindruckt und berauscht enden hier die persönlichen Schostakowitsch-Festspiele mit jeder Menge Highlights, emotional sind wir beide extrem stark mitgenommen, mitgenommen mit jeder Menge WOW.

Anschließend kurz zum Völkerschlachtdenkmal, bevor wir allerdings anfangen, uns damit auseinanderzusetzen, werden wir weggeschickt wegen einer Unwetterwarnung. Das muss also noch warten. Vielleicht auch gut so. Mit Blick auf das Wochenende und die letzten Tage kann es nichts Größeres geben als Schostakowitsch für den Moment.

Aus meiner Sicht starke Zusammenfassung / Kritik:

Die Aufführung der 7. Sinfonie C-Dur Opus 60, der so genannten „Leningrader“, war einer der ganz großen Höhepunkte des Leipziger Schostakowitsch-Festivals, denn sie stand gleich dreimal hintereinander auf dem Programm. Andris Nelsons ist eine einzigartige Allianz seiner beiden Orchester gelungen, denn in dieser gewaltigen, während der Belagerung Leningrads (1941 bis 1944) komponierten Sinfonie spielte das Gewandhausorchester mit dem Boston Symphony Orchestra zusammen.

Das Publikum spendete dieser deutsch-amerikanischen Allianz einen begeisterten Applaus, der sicherlich auch eine politische Komponente hatte. Und in der Tat: Was diese beiden Orchester unter der Leitung von Nelsons an perfektem Zusammenspiel und tiefgründiger Interpretation boten, war atemberaubend und überwältigend!

Parallel zu den vom Gewandhaus organisierten Konzerten wurde in der Oper Leipzig „Lady Macbeth von Mzensk“ in der Inszenierung von Francisco Negrin gegeben. Sein Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic hat ihm eine gigantische Mehlfabrik gebaut, die weder örtlich noch zeitlich einzuordnen ist. Sie funktioniert zu Beginn in allen Details. Aber allmählich zerfällt sie, um dann in trostloser Leere zu enden: Ein eindrucksvolles Sinnbild für den moralische Verfall der Katerina Ismailow und ihres Lovers Sergej.

Negrin präsentiert uns eine sehr realistische Produktion, die vor keiner Brutalität und vor keinen noch so krassen sexuellen Handlungen zurückschreckt. Groteske Einlagen wie die Szene in der Polizeistation geben der Oper einen fast Kafkaesken Touch. In der Titelrolle brillierte Kristine Opolais, die den Lebens- und Liebeshunger der Katerina mit überbordender Vitalität darstellt. Der Sergej des Pavel Černoch besticht durch seinen eleganten Tenor und auch durch sein Sexappeal. Kein Wunder, dass Katerina auf ihn reinfällt und mit ihm durchbrennen will.

Von abgrundtiefem Hass auf seine Schwiegertochter Katerina wird Boris Ismailow geleitet. Dmitry Belosselskiy bringt diesen Hass mit seinem tiefschwarzen Bass bestens zu Geltung. Mehr noch: Er fühlt sich trotz seines Alters potent genug, die kinderlose Katerina zu schwängern.

Andris Nelsons findet mit seinem phänomenal spielenden Gewandhaus Orchester die richtigen Töne für die zermürbende Langeweile, die Katerina in die Hände des Sergej treibt. Umso erschreckender klingt dann das zu der animalischen Sexszene führende Drama mit seinem groben Realismus. Nelsons Dirigat hat eine Durchschlagskraft und Zielstrebigkeit, die effektvoller nicht sein könnte.

„Meine Musik sagt alles, was gesagt werden muss.“ Dieses Zitat von Dmitri Schostakowitsch prangt in großen Lettern in der Eingangshalle des Konzertgebäudes des Gewandhaus Orchesters. Das trifft für viele seiner Werke zu, für seine Dreizehnte Sinfonie aber erweist sich dieser Ausspruch als besonders zutreffend. Sie handelt ja doch vom Antisemitismus, dem der Komponist immer wieder in der Sowjetunion begegnet ist.

Sein Freund, der jüdische Komponist Mieczysław Weinberg, war häufig genug Opfer antisemitischer Kampagnen. In diesem Punkt war Schostakowitsch eindeutig und hat klar Stellung bezogen: „Oft prüfe ich einen Menschen an seiner Einstellung zu den Juden. Heutzutage kann kein Mensch, der den Anspruch auf Anständigkeit erhebt, Antisemit sein.“

So machte er die grauenhafte Hinrichtung von fast vierunddreißig tausend Juden bei der Schlucht von Babi Jar nahe Kiew zum Thema seiner neuen Sinfonie, als der junge russische Poet Jewgeni Jewtuschenko das lange Schweigen um dieses Massaker durch sein 1961 erschienenes Gedicht „Babi Jar“ beendete. Die Erschießung fand an zwei Tagen statt, am 29. und 30. September 1941, und wurde mit erschreckender Gründlichkeit von der SS, der Wehrmacht und ukrainischen Kollaborateuren durchgeführt.

Schostakowitsch hat eine harte musikalische Sprache für die Vertonung dieses Gedichtes gefunden, und Andris Nelsons dirigiert diese bekenntnishafte Sinfonie mit kompromissloser Bildhaftigkeit, schreckt vor keiner musikalischen Brutalität und Grellheit zurück, lässt die gewaltige Todesstimme des Tamtam erbarmungslos erschallen.

Ein furchtbarer Höhepunkt wird erreicht, wenn das betrunkene, „nach Wodka und nach Zwiebeln stinkende“ Volk „Schlagt tot die Juden!“ grölt. Was Nelsons hier aus dem Schlagwerk und den Bläsern an Aggression und Wut herausholt, geht durch Mark und Bein. Der Bassist Günther Groissböck ist ein mitfühlender Kommentator, der sich am Schluss mit den Juden identifiziert: „Für Judenfeinde bin ich wie ein Jud‘.“ Es folgen vier weitere Sätze, die die Titel „Der Witz“, „Im Laden“, „Ängste“ und „Eine Karriere“ haben. Obwohl sie mit „Babi Jar“ inhaltlich nichts direkt zu tun haben, wirken alle fünf Sätze der Sinfonie wie eine Einheit.

Mit drei ausverkauften (!) Aufführungen hat Andris Nelsons den Focus ja auf die Leningrader Sinfonie gerichtet. Er begründet das so: „Ich denke, diese Sinfonie ist Schostakowitschs Protest gegen jegliche Art von Krieg oder Unterdrückung. Denn die Geschehnisse liegen erstens in nicht allzu ferner Vergangenheit. Und zweitens sehen wir leider, dass sich die historischen Ereignisse in unserer Gegenwart wiederholen. Wir müssen uns dessen bewusst sein.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Quelle

Hier ein abschließendes Interview, welches ich sehr erhellend finde:

15. Mai 2025, 04:00 Uhr – Beim Schostakowitsch-Festival am Gewandhaus Leipzig werden ab Donnerstag zwei Wochen lang Werke des russischen Komponisten (1906–1975) aufgeführt. Darunter sind alle Sinfonien und Solokonzerte, Kammermusik und eine Oper. Schostakowitsch bewegte sich in der Sowjetunion zwischen Widerstand und Anpassung. Im Interview erklärt der Schostakowitsch-Experte und Gewandhaus-Konzertbüroleiter Tobias Niederschlag, warum der Komponist damit „erschreckend aktuell“ ist – und welchen Leipzig-Bezug er hatte.

MDR KULTUR: Der russische Komponist Schostakowitsch wird durchaus ambivalent gesehen – in einer politisch aufgeladenen Zeit, mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Hat das zu größeren Debatten im Vorfeld geführt?

Tobias Niederschlag: Nein, wir haben das Festival ja schon vor einigen Jahren geplant, als das noch kein Thema war. Aber es ist uns natürlich im Laufe der Zeit immer mehr bewusst geworden, dass man vor diesem Hintergrund auf bestimmte Dinge in der Biografie besonders hinweisen muss. Schostakowitsch hat sich immer auf einem schmalen Grat bewegt zwischen offizieller Anpassung aber auch Widerstand – oder zumindest Dingen, die sehr kritisch sind, wo er selber den Finger in die Wunde gelegt hat. Häufig auch, indem er historische Parallelen aufgezeigt hat in seinen Werken. Und das herauszuarbeiten, ist uns wichtig.

Er ist ja selber auch zweimal öffentlich verurteilt worden in der Sowjetunion, wurde dann aller Ämter enthoben, seine Musik durfte nicht mehr gespielt werden, und er hat sich dann rehabilitiert. Das war schon kein ganz einfaches Schicksal. Heute wird Schostakowitsch vor allem für die Werke gewürdigt, die gerade diesen Charakter haben, die kritische Dinge anmerken, oft auch auf verschiedenen Ebenen. Weniger die Propaganda-Werke.

Haben Sie da Schostakowitsch auch noch noch mal andes kennengelernt?

Nein. Aber ich habe festgestellt, dass es viele Menschen gibt, die mit der Biografie von Schostakowitsch gar nicht so vertraut sind. Eigentlich kann oder muss man ja sagen: Wenn, dann sollte man diese Musik jetzt spielen. Also ein Komponist, der zwar nicht dieselbe Situation, aber Vergleichbares selber miterlebt hat, es in seiner Musik auch zum Ausdruck gebracht hat und auch Dinge angesprochen hat, die leider immer noch erschreckend aktuell sind.

Sie selbst haben sich auch intensiv mit dem Werk von Schostakowitsch beschäftigt. Was fasziniert Sie so an der Musik, dass sie diesem Komponisten so eine große Bühne geben?

Das faszinierende ist, dass er ein unglaublich vielseitiger Komponist war. Er hat ja eigentlich für alle Genres geschrieben, nicht nur die großen, tragischen, auch kritischen Sinfonien oder die sehr intimen Streichquartette. Es gibt auch sehr viel Unterhaltungsmusik von ihm, Filmmusiken, Ballettmusiken – ja: auch Propagandawerke. Aber das alles zusammen, das ist schon unglaublich interessant.

Also auch ein Komponist, dem es sehr leicht von der Hand ging, zu komponieren, obwohl die Werke natürlich teilweise sehr komplex sind. Aber er hat im Kopf komponiert und musste es dann eigentlich nur niederschreiben. Das kennt man in dieser Form eigentlich nur von Wolfgang Amadeus Mozart. Auch in der Hinsicht wirklich eine Ausnahmeerscheinung.

Und dann natürlich auch, dass er unter widrigsten Umständen einen Weg gefunden hat, seinen eigenen Überzeugungen und auch Idealen treu zu bleiben, oft in einer Musik, die mehrdeutig ist, doppeldeutig also, wo das, was man vordergründig hört, etwas anderes ist, als was eigentlich in einer unteren Ebene gemeint ist. Das ging damals gar nicht anders, aber das finde ich schon wirklich sehr, sehr faszinierend. Er ist einfach auch ein ganz großartiger Musiker. Eine Musik, die einen unmittelbar anspricht, auch emotional. Also ich kenne niemanden, der diese Musik hört und nicht von dieser Musik eingenommen ist.

Eine große Triebfeder in seinem Schaffen war das Werk von Johann Sebastian Bach. Wie setzt sich diese Verbindung von Bach und Schostakowitsch jetzt im Festival fort?

Es gibt in Leipzig eine gewisse Schostakowitsch-Tradition. Er war 1950 hier, zum großen Bach-Jubiläum, dem 200. Todestag. In diesem Jahr hat zum ersten Mal der Bach-Wettbewerb stattgefunden, und Schostakowitsch saß in der Jury, und die Pianistin Tatjana Nikolajewna, die wie er aus der Sowjetunion kam, hat den ersten Preis gewonnen.

Und er hat dann selber im Anschluss an seinen Leipzig-Besuch einen eigenen großen Zyklus von 24 Präludien und Fugen, Opus 87, komponiert, in Anlehnung an das wohltemperierte Klavier. Dieser Zyklus wird bei uns natürlich auch einen besonderen Stellenwert einnehmen. Er wird interpretiert von Julianna Awdejewa, die diesen großen Zyklus extra für unser Festival einstudiert.

Zum anderen hat aber auch das Gewandhausorchester selber eine große Schostakowitsch-Tradition, die schon auf 1929 zurückgeht, als Bruno Walter hier die erste Sinfonie dirigiert hat. Aber bedeutend war dann vor allem auch in den 70er-Jahren ein großer Zyklus aller Sinfonie von Schostakowitsch. Zwischen 1976 und 1978 hat Kurt Masur alle Sinfonien angesetzt – der erste komplette Sinfonien-Zyklus von Schostakowitsch weltweit.

Das war ein epochales Ereignis. Und darauf beziehen wir uns, auch wenn das damals auf zwei Spielzeiten verteilt und eine Gegenüberstellung mit Ludwig van Beethoven war. Wir konzentrieren uns jetzt ganz auf Schostakowitsch – in zweieinhalb Wochen. Aber auch da sind alle Symphonien dabei.

Quelle: MDR KULTUR (Julia Hemmerling), redaktionelle Bearbeitung: lm, hki, Quelle

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