KIRGISTAN – 26. Juli – 11. August 2023

Manche Pläne brauchen bis zur Umsetzung, so auch Kirgistan. Schon länger auf dem Plan, kam zuletzt C. dazwischen. Und dann war noch zu überlegen, ob Frühling, Sommer oder Herbst. Beste Reisezeit sei April bis September. Armin und ich entscheiden uns für Sommer, wohl wissend, dass es dann in Bischkek ziemlich heiß sein wird. Aber wir haben Gründe.

Und so kommen wir am 27.07. um 8.00 Uhr im heißen Bischkek an. Das Abenteuer Kirgistan beginnt mit einem Frühstück im Hotelrestaurant über den Dächern der Stadt mit Blick auf die Ausläufer des Tian Shan. Top.

Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel fällt uns ein großes Schild auf, welches uns in Кыргызстан (Kirgistan) willkommen heißt. In Deutschland ist vorzugsweise Kirgisistan zu lesen. Ja was denn nun?

Kirgisistan – Kirgistan – Kirgisien

Kirgistan begegnet uns überall im Lande. Schilder, Bezeichnungen usw. tragen den Namen. Kirgisisch Кыргызстан, Russisch Киргизстан hat sich im englischen Sprachgebrauch Kyrgyzstan bzw. Kirgistan durchgesetzt und damit auch die richtige Transkription. Wir neigen dazu, ebenfalls Kirgistan zu sagen, insbesondere, wenn die Einwohner das Land so bezeichnen.

Das Auswärtige Amt sagt Kirgisistan, gerade nach der Unabhängigkeit stand die Frage nach dem korrekten Namen im Raum. Deutsche, österreichische und schweizerische Sprachwissenschaftler kamen zum Schluss, dass Kirgisistan die sprachlich korrekte Übersetzung sei. Korrekt oder überkorrekt? Egal.

Was hingegen eher weniger geht, ist Kirgisien. Kirgisien steht für über hundertjährige russische Fremdherrschaft und ist auch mit der stalinschen Abwertung der kleinen Teilrepublik verbunden.

Vollends korrekt wären wir mit der offiziellen Bezeichnung Kirgisische Republik.

Während Armin flugbedingtes Schlafdefizit nachholt, mache ich mich i-wann auf den Weg durch die Stadt. Trotz aller Hitze, wir haben 38° C, ich bin ja neugierig. Anstrengend wird’s, die Hitze, stechende Sonne und Smog finden zueinander. Ausreichend Wasser hilft ein wenig, irgendwann versuche ich mich auch am Chalap (Tan), das ist so bissel wie Ayran mit Kohlensäure und erfrischt ganz gut. Im Zentrum regiert der sozialistische Realismus. Breite Straßen, weite Plätze, monumentale Bauten, heroische Denkmäler. Lenin steht nun hinter dem Nationalmuseum. O-Busse fahren hier noch, die finde ich besonders cool.

Bischkek heißt seit 1991 so. Früher, im 6./7. Jhdt., ist hier eine Karawanenstation an der Seidenstraße. Im 13. Jhdt. machen die Truppen Dschingis Khans die Siedlung platt. 1878 wird die russische Festung Pischpek gegründet. Sie gilt als namensgebend. Angelegt als Planstadt mit breiten Boulevards und einem schachbrettartigen Straßennetz. Von 1926 bis 1991 ist es dann Frunse nach Michail Wassiljewitsch Frunse, der in der Oktoberrevolution Heldenstatus erlangt hat. Auf Kirgisisch bezeichnet bischkek (pischpek) ein Gefäß für die Zubereitung von fermentierter Stutenmilch (kumys).

Heute mit 1.120.827 Einwohnern die Hauptstadt der Republik Kirgistan, früher der Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik (Kirgisische SSR). Hier bissel was zur Geschichte:

Ich lass da jetzt auch mal paar Dinge weg, das führt zu weit und man kann das ja auch bestens nachlesen. Dass aber Kirgistan in dieser Form erst seit 1991 besteht, ist schon sehr beindruckend, weil die Kultur deutlich älter ist. Dshingis, die Zaren, Stalin und wer weiß wer noch wollten alle die Herrschaft über die Region.

Es ist davon auszugehen, dass das Gebiet seit dem 8. Jhdt. bevölkert wird, ab 1219 dem Mongolenreich Dschingis Kahns zugehörig, seitdem mongolisches Gebiet. Ab dem 19. Jhdt. entwickeln die russischen Zaren Interesse an dem Gebiet. Von 1876 bis zur Unabhängigkeit ist Kirgistan dann Teil des russischen Reiches bzw. später der UdSSR. Erst als Turkestanische ASSR, dann als Kirgisische ASSR, seit 1936 als Kirgisische SSR eine der Unionsrepubliken der UdSSR.

Bis 1991, am 31. August 1991 erklärt Kirgistan seine Unabhängigkeit. Zunächst gilt Kirgistan als Insel der Demokratie unter den Nachfolgestaaten der UdSSR, bis Ende der 90er der Regierungsstil des ersten Präsidenten Askar Akajew zunehmend autoritär wird. Verfassungsänderungen, Verfassungsreferendum, Unruhen, usw.

Scheint wohl insgesamt ein Problem zu sein, wenn Leute länger als acht Jahre an der Macht sind, gibt ja genug Beispiele. Aber das nur am Rande.

Zurück zu den Unruhen, die nach der Parlamentswahl 2005 in der Tulpenrevolution ihren Höhepunkt haben inklusive Sturz des Präsidenten Akajew. Nachfolger wird Kurmanbek Bakijew, der stärkt mittels Verfassungsreferendum und Verfassungsänderungen sich und die seinen, weitere Unruhen folgen 2010, die Zeit Bakijews endet mit der Flucht nach Kasachstan.

Der Weg ist frei für ein Verfassungsreferendum, das am 27. Juni 2010 das Präsidialsystem abschafft und den Weg frei macht zu der ersten parlamentarischen Republik Zentralasiens. Was aber mit einem Verfassungsreferendum 2021 wieder Geschichte ist. Vorausgegangen sind teils blutige Massenproteste nach der Wahl 2020, die nach Hinweisen auf Stimmenkauf, Manipulation und Korruption annulliert wird.

Einwohner hat Kirgistan 6.523.529.

Nachmittags kaufen wir bissel ein, Essen im Restaurant Buchara um die Ecke ist jetzt eher nicht so gut, vor allem das erste Bier geradezu ungenießbar. Aber Armin hat im Tschaikowsky, dem Hotelrestaurant über den Dächern der Stadt, ein kleines Konzert aufgetan und so erfreuen wir uns an „The Salt Peanuts“ und einem ungewöhnlichen und guten Jazzabend mit Klassikelementen. Klimatisiert abgeschirmt vom stickigen Bischkek.

Tags drauf lassen wir uns zum Burana-Tower fahren. Für solche Touren ist Taxi das bewährte Mittel der Wahl. Die Taxipreise lassen sich mit denen in Deutschland nicht ansatzweise vergleichen.

Vermutlich ist der Turm Überbleibsel von Balasagun, einer ehemaligen Hauptstadt an der Seidenstraße, Blütezeit als eine der bedeutendsten Städte Zentralasiens vom 8. bis 12. Jhdt. Ein kleines Museum ist hier und Ausgrabungen, aber bei denen müssen wir schon ganz genau hinschauen, um was zu sehen. Dennoch, es lohnt sich, der Burana-Tower, heute nur noch knappe 22 m hoch, bis zu einem Erdbeben immerhin noch 45 m, ist begehbar. Sehr schön auch die Sammlung von Balbals, so heißen die 1.500 Jahre alten Steinfiguren. Wahrscheinlich wurden damit Herrscher oder hochrangige Familienmitglieder geehrt.

Heute wird ja sehr viel über das Projekt Neue Seidenstraße geredet, wovon während der Reise nicht so viel zu sehen und spüren war. Früher war die Region Teil des weitverzweigten, über tausend Jahre alten Karawanennetzes zwischen Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und China namens Seidenstraße.

Ein Hot Spring irgendwo in den Bergen ist der näxte Punkt. Bei über 35° ein Hot Spring, mir fehlt die Fantasie. Nachhaltig beschleunigt wird sie dann auch vor Ort nicht. Hat zunächst die Anmutung eines normalen Schwimmbades, dem für die Infrastruktur drum rum das Geld ausgegangen ist. Vielleicht ist hier nur Baupause, vielleicht auch nicht. Egal.

Keine Minute halte ich es im Wasser aus, unfassbar heiß, muss unwillkürlich an Hot Pots in Island denken, nur sind die ein wohliger Kontrast zu doch geringeren Temperaturen. Ein zweiter Versuch macht es nicht besser.

Der weitere Weg geht durch reizvolle Landschaft entlang des Tian Shan, ehe wir abends wieder im Tschaikowsky einkehren. Diesmal mit einem Armins Geburtstag angemessenen Essen, was wir später mit Raki, Bier und Dream Theater abrunden und abschließen.

Weiter geht’s, wir wollen richtig in die Berge. Fliegen nach Osch mit TEZ AIR, einer kleinen inländischen Fluggesellschaft. Insgesamt völlig unaufgeregt, nur dass der Flieger vor Abflug doch recht lange auf der Startbahn rumsteht und wartet, was natürlich unangenehm warm wird bei – natürlich – zu wenig Flüssigkeit. Der Flug dauert ne Stunde, grandiose Berge unter uns, die Spannung steigt.

Transfer zum Hotel, es geht auf den Abend zu, das Etno Boutique Hotel ist am Rande der Stadt, kein Smog, kein Verkehr, keine Hektik. Das Hotel gefällt uns und so fällt es leicht, gleich hier zu bleiben, eine Kleinigkeit zu essen, ein Bier zu trinken. Um dann gespannt und vorfreudig ins Bett zu fallen.

Es steht sozusagen nur der Transfer zur Edelweißwiese an, aber was heißt das schon, noch wissen wir ja nicht, was uns erwartet. Um 8.40 Uhr holt uns der Kleinbus ab, anschließend noch paar Leute einsammeln in Osch, Stopp am Supermarkt und schon sind wir auf der aufregenden Straße von Osch nach Sarytasch, einem Teil des Pamir Highways. Von da aus soll der Weg noch weiterführen über Sary Mogul zu besagter Edelweißwiese zum Pik-Lenin-Base-Camp auf 3.600 Metern Höhe.

Ausdrückliche Empfehlung von IggSter, der vor vier Jahren auf eben jenen Pik Lenin (7.134 m) geklettert ist. Haben wir natürlich nicht vor, wir wollen die Zeit im und um das Camp genießen bei der einen oder anderen kleinen Wanderung. In grandioser Landschaft wie uns IggSter, div. Reiseführer und die Website von Central Asia Travel vorab geradezu euphorisch erzählen.

Die Vorab-Orga lassen wir die Profis Central Asia Travel erledigen. Inlandflüge, Transfers, Übernachtung und vor allem Grenzbescheinigung ist vor Ort schlicht schneller und reibungsloser erledigt. Gerade die Grenzbescheinigung hätte uns wohl unnötiges Kopfzerbrechen bereitet. Wir sind hier im Grenzgebiet unterwegs, Tadschikistan ist nicht weit, der Pik Lenin liegt auf tadschikischem Gebiet. Ob wir die so einfach bekommen hätten?

Doch noch sind wir ja nicht da, also zurück zur Fahrt. Neun Leute unterschiedlicher Nationen im Auto, alle den Pik Lenin als Ziel, außer uns beiden. Nach der Abfahrt erstmal das große Bekanntmachen und natürlich erstmal die üblichen Vergleichsfragen, vulgo „der Schwanzvergleich“: Wer war schon wo? Wie hoch? Wie oft? Welche Länder? Also letztlich ungefähr wie Groundhopper, die akribisch Statistik führen und diese selbstverständlich immer parat haben. Und alle sagen, dass sie ja nicht zählen, dass es ihnen ja nicht so wichtig sei. Die Muster gleichen sich:-)

Derweil treibt unser Fahrer das Auto zunächst den Chyyyrchyk Pass Pass (2.389 m) rauf. Ich würde ihn gern spektakulär nennen, isser aber nicht. Dafür aber der Taldyk Pass (3.615 m), das Auto ist am Anschlag, atemberaubend, wie sich die Straße hier hochwindet, eine spektakuläre Kehre folgt auf die nächste, ein atemberaubender Blick löst den nächsten ab. Eine Fahrt im Superlativ.

Später, als es bei Sary Mogul links weg geht auf eine Schotterpiste mit verschiedentlichen Furtquerungen, sind Auto und Besatzung gleichermaßen am Anschlag. Wobei wir ja immer die ultimative Ablenkung vor Augen haben. Es geht auf die Gletscher- und Schneebedeckte Wand des Pamirs zu und ein solches Bergpanorama hab ich noch nie gesehen. Der Horizont ist zugepflastert mit einer in Weiß getauchten Bergkette, gewaltig, beeindruckend, außergewöhnlich.

Der Pamir, Dach der Welt, hat eine Fläche von 120.000 km2, 12.500 km2 (1/10 der Fläche) sind vergletschert.

Hier regt sich Widerspruch, das Dach der Welt seien doch Tibet und der Himalaya. Ja, aber😊. Wiki hat hier Quellen aus der Encyclopædia Britannica, dem großen Brockhaus usw. zusammengetragen und stellt den Pamir auf die gleiche Stufe:

Seit dem Erwachen des öffentlichen Interesses an Tibet ist indes das Pamir-Hochland als die zu Beginn des 20. Jahrhunderts „am besten erforschte Region Hochasiens“ aus dem Rampenlicht getreten, und die Bezeichnung „Dach der Welt“ wurde in wachsendem Ausmaß auf Tibet übertragen. Wiki

Für Fans des Vergleiches: Von der Fläche her sind Nordkorea und der Pamir in etwa gleich auf, man könnte auch sagen, wenn ich das Saarland gut 46 x nebeneinanderlege, dann habe ich ungefähr den Pamir. Spielereien😊.

Keine Spielereien sind hingegen sind die sechs 7.000er, zu denen sich elf 6.000er gesellen.

Es gehört zu dieser Fahrt, dass immer alles im Anfang spektakulär aussieht, aber stets noch eine Steigerung erfährt. Zunächst das noch ferne Pamir-Panorama, an dem wir kilometerweit entlangfahren. Später fahren wir kilometerweit draufzu und lassen uns berauschen. Und je näher wir kommen, desto intensiver wird diese Bilderflut. Obwohl wir, einmal am Base-Camp angekommen zwar das gewaltige Panorama mit der Pik-Lenin-Wand sehen, anfangs noch etwas wolkenverhangen, aber das ändert sich.

Das Panorama ist überwältigend und macht uns sprachlos. Das Camp ist großartig, die Lage ist überwältigend, die Leute sind top. Mit einer Jurte haben wir uns für eine Art Luxusunterkunft hier oben entschieden, die ist krass komfortabel. Haben die Jungs und Mädels, die in den nächsten Tagen auf den Pik wollen nicht, die sind in Zelten, immerhin mit Feldbett. Da lässt sich wohl auch ganz gut leben, vor allem im Vergleich zu den Zelten, die dann noch kommen werden im Base-Camp 2 oder gar Base-Camp 3 auf 6.100 m.

Vor dem Essen laufen wir noch bissel rum, um uns mit der Höhenlage vertraut zu machen, wann ist man schon mal auf 3.600 Metern? Links vom Lager hat sich ein Gletscherfluss einen Weg gebahnt, hier schauen wir kurz vorbei, drehen eine kurze Runde in der Nähe des Lagers, ehe wir uns in einer der Jurten zum Essen einfinden. Breakfast – Lunch – Dinner – alles gehört zum Paket, wir sind in guten Händen und würden wir mit der Höhe nicht klarkommen, hätten wir sogar einen Doc. Okay, das Essen ist regional und rustikal, aber hier oben erwarte ich auch keine Gourmet-Küche.

Der Schlaf ist recht unruhig, totale Stille zwar, aber wer weiß. Vielleicht ist es das hier:

„Was das Schlummern in großer Höhe mit unserem Körper macht

Skifahrer oder Kletterer kennen das gut: Obwohl man hundemüde ist, schläft man die ersten Nächte in den Bergen ziemlich unruhig. Der Grund: Durch das Reizklima werden vermehrt Hormone wie Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, die den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinträchtigen. Zusätzlich liegt oft eine leichte Form der Höhenkrankheit vor, die durch den mit zunehmender Höhe sinkenden Sauerstoffgehalt der Luft bedingt ist. Bis 3500 Meter kann dies der Organismus in der Regel gut verkraften, allerdings nimmt bereits auf 2000 Metern Höhe der Sauerstoffdruck in der Lunge im Vergleich zum Meeresniveau um etwa 30 Prozent ab, bei 3000 Metern sind es schon fast 50 Prozent. Der Körper versucht dies durch einen erhöhten Herzschlag auszugleichen, was sich als Unruhe und Nervosität bemerkbar macht. Etwa 20 bis 40 Prozent der Erwachsenen sind ab 2500 Metern davon betroffen, ab 4000 Metern nahezu jeder.“ Quelle

Aber natürlich ist es längst nicht so schlimm, dass es uns abhalten könnte von einer schicken Wanderung, wir wollen von der Edelweißwiese zur Zwiebelwiese. Bin gespannt, ob ich paar Murmeltiere vor die Linse bekomme, gesehen haben wir sie schon, aber immer aus der Ferne, da geht noch mehr. Und siehe da Murmeltier, Yak und Wiesel zeigen sich.

Und wir sehen überdeutlich, warum die Edelweißwiese so heißt wie sie heißt. Es ist nahezu unmöglich, nicht auf eine dieser zarten und besonderen Pflanzen zu treten, so oft wie sie auf dieser Wiese stehen.

Alles eingerahmt von zwei Gletscherflüssen, wovon uns gerade der, der vom Pik-Lenin-Massiv herunterkommt, noch öfter begegnen wird. Apropos, die Wanderung beständig Richtung dieser unfassbar weißen Wand ist, trotz des beständigen Anstieges, schlicht magisch.

Wir queren einen kleinen Pass, dann noch paar Meter und wir haben die Zwiebelwiese erreicht. Wir sind bei 3.900 Metern und haben das Ziel erreicht und das ist auch gut so, reicht hin, wir wollen Bergwandern, aber nicht Bergsteigen. Hier der komoot-Mitschnitt.

Armin beschließt nach unserer Rückkehr, zu lesen und zu chillen, ich wandere noch am Gletscherfluss lang, der ist einfach grandios und ich berausche mich an dem Anblick, wie er sich ins Gestein gearbeitet, gefräst hat und sich nun in diesem Bachbett entlangmäandert und wie viele Sedimente er mit sich führt.

Faszinierend der Weg auf dem Bergrücken, rechts der Gletscherfluss, links schiebt sich ein kleiner Gebirgsfluss ins Bild und begleitet mich fortan, ich folge also beiden Flussläufen bis zum Punkt ihrer Vereinigung. Mein Glück ist vollkommen. Hier der komoot-Mitschnitt.

Die zweite Nacht in der Jurte ist wesentlich angenehmer.

Die Jurte – Symbol und praktische Wohnung

In Sowjetzeiten hat sie einen schweren Stand, nach 1990 erlebt sie eine schnelle Renaissance. Ist ja auch die idealtypische Wohnung für ein nomadisches Leben, schnell aufgebaut, schnell abgebaut, warm im Winter, kühl im Sommer, variabel in Größe und Ausstattung. Grundkonstruktion ist ein im Kreis aufgestelltes Holzgitter, darauf kommen gebogene Dachstangen, den Abschluss bilden die Dachöffnungen (tündük).

Das Aufstellen der Jurte ist Sache der Frauen, das Aufsetzen des tündük hingegen ist Sache des Vaters. Der tündük ist Rauchabzug, Symbol für das Heim, die Familie und für die Öffnung zur Welt. Während die verschiedenen Bestandteile der Jurte ausgetauscht werden können, bleibt der tündük und wird immer an den jüngsten Sohn vererbt. Keine Überraschung, dass der tündük die Staatsflagge ziert.

Am nächsten Tag wandern wir zum Tulpar Kul, einem der vielen kleinen Hochgebirgsseen hier. Tulpar Kul soll der schönste hier in der Ecke sein. Wandern in der Höhenluft ist immer weniger anstrengend, cool, wie schnell der Körper das antizipiert, aber kurzatmig bin ich denn immer noch, deswegen ist der eine Anstieg nach dem wohlbekannten Gletscherfluss schon heftig, aber die Belohnung wird folgen, wir sind uns sicher.

Und wie. Es ist die rasante Abfolge von Situationen, die die Wanderung so prägen. Sanfte Bachläufe, grasende Pferde, krasse Panoramen, idyllische Yurtencamps. Zunächst entlang eines Baches, der noch nicht so ganz weiß, ob er so richtig ernstgenommen werden will. Es fehlt ihm noch ein wenig das Gefälle, langsam nimmt er Fahrt auf, da kreuzt unseren Weg eine beachtliche Schafsherde, aber der Oberhirte zu Pferd hat alles im Griff.

Jetzt schon mehrfach aus verschiedensten Perspektiven gesehen, nun sind wir dem Gletscherfluss ganz nahe und überqueren ihn. Beeindruckend. Insbesondere der Zusammenfluss von den vielen Gletscherflüssen beeindruckt. Die Yurtencamps auf dem weiteren Weg wirken entrückt, idyllisch. Romantisierendes Überhöhen ist nicht weit, aber was will man machen, hier siehts ja nun mal so aus und in Deutschland eben nicht, das ist ja Zweck von Urlaub.

Dass die Yurtencamps hier touristisch sind, ist ja relativ klar, anderswo sieht es dann vlt nicht mehr zwingend so romantisch aus und da ist der Komfort dann vlt auch nicht so groß. Wer weiß.

Nomadenleben ist die bestmögliche Lebensweise in der Extremlandschaft zwischen Steppe, Halbwüste und Hochgebirge, wenig überraschend nehmen in der kirgisischen Kultur die Pferdezucht und das Leben in der Jurte einen zentralen Platz ein. Das obere Gestänge der Jurte um die obere Rauchabzugsöffnung, der Tündük, hat es wie oben geschrieben bis auf die Nationalflagge geschafft, mehr Symbolik geht kaum.

Stalin & Co. setzten in der UdSSR auf Zwangskollektivierung sowie Verbot und Verfolgung des Nomadentums, die nomadisch lebenden Völker sollten sesshaft gemacht werden, alte Stammes- und Clanstrukturen durch systemkonforme Gefüge ersetzt werden. Mit neuen Straßen, Kraftwerken, Industriebetrieben sollte die wirtschaftliche Entwicklung – ganz nach sowjetischem Vorbild – vorangetrieben werden. Es gelang nie so recht, immer wieder gab es blutige Konflikte.

Und eine rasche Rückkehr zum nomadischen Leben, zu nomadischen Traditionen spätestens nach Erklärung der Unabhängigkeit. So hat sich auch die Tradition als Reitervolk gehalten. Schon früh lernen die Kinder das Reiten.

Das nomadische Leben indes ist moderner geworden. Teilweise ziehen die Kirgisen mit ihren Herden auf die Sommerweiden, wohnen in Jurten und kehren im Winter in ihre festen Wohnungen zurück – moderne Halbnomaden. Die Jurten sind heutzutage komfortabler ausgestattet, manche haben Radio, Fernsehen oder Solarkollektoren. Und es gibt mobile Nomadensiedlungen.

Hier hat die GEO Nomaden begleitet, ganz spannendes Video über die Herausforderungen in Zeiten schmelzender Gletscher.

Aber noch ist ja das eigentliche Ziel nicht erreicht, der Tulpar Kul. Hatten wir schon in den Blick genommen, wurde uns von Anastasia vom Camp nochmal sehr ans Herz gelegt. Was sich sofort offenbart. Ein Juwel dieser Hochgebirgssee. Spiegelglatt liegt er da und spiegelt die umliegenden Berge faszinierend und klar. Und leuchtet in Farben, die ich in diesem Spektrum bisher bei noch keinem See gesehen habe.

Es fällt schwer, sich loszureißen, eine Umrundung wäre angemessen, aber es geht ja noch zurück und vor allem wollen wir ja am Nachmittag auch mitgenommen werden zurück nach Osch. So grandios wie der Hinweg so grandios der Rückweg, es ist eine panoramagesättigte Gegend hier, müde Augen zu bekommen geradezu unmöglich. Wie gestern auch heute Momente vollkommenen Glückes. Auch hier gibt komoot Auskunft.

Um 16:00 Uhr geht’s zurück mit dem 11er-Bus, Wehmut kommt auf, denn das hier ist schon ein ganz besonderes Fleckchen Erde. Das wir ohne IggSters Tipp nicht auf dem Schirm gehabt hätten, also nochmal tausend Dank!

Die Fahrt zieht sich natürlich. Zuerst die Off-Road-Piste mit Schotter, Sand und zu querenden Bachläufen, die 1,5 h dauert. Aber schlicht nicht anders zu machen ist. Jetz könnte man argumentieren mit Ausbau von Strecken, is aber nich bei diesen Gebirgen.

Einerseits muss es ja ein weiterführendes Interesse geben und nicht nur die sommerlichen Besucher und andererseits ist diese Ebene hier durch Gletscherwasser geformt und wird weiter geformt. Wie oft also müsste repariert oder gar neu gebaut werden?

Die beiden Pässe von der Hinfahrt sind nun recht schnell gequert, aber dennoch zieht die Strecke sich, logisch. Und je länger wir fahren, desto mehr denke ich, dass man genau diese Strecke von Osch nach Sarytasch nochmal für sich, ganz in Ruhe, fahren muss, nicht nur wegen der spannenden und höchst unterschiedlich gestalteten Bushaltestellen, sondern auch wegen der vielen vielen unterschiedlichen Bergketten und landschaftlichen Verhältnisse.

Das Abladen von uns in Osch gestaltet sich spannend, im Bus sitzen Kirgisen, Russen, Usbeken und Deutsche, der Fahrer kann nur Kirgisisch und natürlich müssen alle auf unterschiedliche Hotels verteilt werden. Als Lenin ins Spiel kommt wird es verrückt. Der eine Mitfahrer will ins Hostel am Leninplatz. Fahrer fährt aber in die Leninstr. Passt nicht ganz, Diskussionen unvermeidlich. Also geht‘s weiter. Nach Leninplatz und Leninstr. der dritte Versuch mit der Leninstatue. Sie wird gesucht und gefunden, die ersten steigen aus. Dann gehts weiter, wieder zum Etno. Was der Fahrer i-wie gar ned auf dem Schirm hat, aber die übrigen Mitreisenden aus Russland und Usbekistan, die erfolgreich für uns dolmetschen, während wir erfolgreich mit dem Navi hantieren und – immerhin auf russisch, paar Begriffe sind mir denn doch während der Tour wieder eingefallen – rechts und links in den Raum werfen und letztlich erfolgreich im Etno einchecken.

Und hier ist auch noch unser Ouzo im Kühlschrank, mit dem wir die Bilderflut dieser in jeglicher Hinsicht beindruckenden, berauschenden und bezaubernden Tour genießen.

Am darauffolgenden Tag von Osch mit dem Flieger zurück nach Bischkek. Ist genauso unangenehm wie auf dem Hinflug, zumindest bis zum Start. Der Flieger steht ewig rum auf der Startbahn, es wird wärmer und wärmer, das Wasser ist i-wann auch alle, doch dann geht‘s endlich los.

Für den weiteren Verlauf haben wir uns die Idee zurechtgelegt, zunächst nach Tokmok zu fahren und da zu übernachten. Bringt uns dem Yssyk Kul näher und wir umgehen Bischkek. Tokmok, der Burana-Tower ganz in der Nähe und Balasagun (s.o.) waren vermutlich Zentren an der Seidenstraße.

Von Bischkek aus wäre zwar noch der Ala-Artscha-Nationalpark mit seinen unzähligen 4.000ern als Tagestour möglich gewesen, aber so ist es dann.

Verzichte darüber hinaus auf kirgisischen Erstliga-Fußball. Schweren Herzens, aber Fußball wird in und um Bischkek gespielt und um Osch. Von Karakol aus ein Mehraufwand, der in keinem Urlaubsverhältnis steht.

Übernachtung in Tokmok ist dann leider eine Vollkatastrophe, ein maximaler Griff ins Klo. Nie hätte ich gedacht, dass sowas bei booking gelistet sein kann.

Zunächst findet unser Taxi-Driver das „Hostel“ zielsicher nicht, trotz mehrfacher Anrufe beim „Hostel“. Irgendwann gelingt es dann doch, immerhin. Der Rest aber ist …

… ach was soll ich sagen …

Familienanschluss im Urlaub mag ja ganz nett sein, wenn, dann möchte aber ich darüber bestimmen. War hier nicht. Oma, Opa, Papa (mittlerweile ohne Mama, die sei vor paar Jahren ausgezogen, was mich im Laufe des Abends immer weniger wundert) und Kinder. Alle da, schauen uns groß an. Noch größer schauen wir, als uns die Schlafmöglichkeiten präsentiert werden. Ein wie auch immer gearteter Gästebereich nicht auszumachen. Am Ende schlafe ich in einem Zimmer und der Sohn des Hauses im Nachbarzimmer. Was ein Durchgangszimmer ist. Es ist komplett irre. Zum Schlafen zu warm. Natürlich keine Klimatruhe.

Das Zimmer eine Ansammlung aus alten, vollgerümpelten Möbeln mit Familienfotos in den Vitrinen, beim Einschlafen hoffe ich, dass deren Geister nicht i-wann in der Nacht erscheinen. Armins Zimmer nicht weniger crazy. Haus und Hof dazu ziemlich runtergewirtschaftet.

Frage vom Gastgeber nach einem Bier lehnen wir nicht ab, wir wollen hier ja i-wie ins Schlafen kommen. Kümmert er sich auch drum, setzt sich dann aber wie selbstverständlich mit seinem Bier zu uns an den Tisch. Und labert und fragt und fragt und labert. Und je länger er fragt, desto unangenehmer wird er uns. Was vor allem an seiner unfassbaren Indiskretion liegt.

Was ein Horror, der Abend nimmt kein Ende, denn – natürlich – weiß er auch nicht, wann es seinerseits gut wäre, sich zurückzuziehen. Schließlich dämmern ihm unsere Hinweise, viel zu spät.

Ich bin ja weder zimperlich noch habe ich was gegen persönliche Kontakte vor Ort, meinetwegen auch mit Einblick in das Familienleben, davon lebt ja letztlich auch das Reisen. Aber was nicht geht, geht halt nicht und das hier heute ist so jenseits dessen, was in irgendeiner Weise noch angemessen ist, dass es auch nicht mehr lustig ist, sondern einfach nur drüber und unfassbar schlecht. Wie gut, dass wir nur eine Nacht gebucht haben und selbst die hätten wir bei Ankunft auf dem Hof eigentlich unverzüglich stornieren müssen, um weiterzufahren.

Nun denn, eine nachhaltige Erfahrung …

Warum fällt mir bei dem Typen jetzt gerade das Thema Brautraub ein?

Relativ weit verbreitet ist der Brautraub in Kirgistan, geschätzt 15.000 Ehen jährlich kommen so zustande. Rund ein Drittel aller verheirateten Frauen sind so verheiratet worden, auf den Dörfern mehr als in den Städten.

Mädchen und junge Frauen werden hierbei ohne ihre Zustimmung in das elterliche Haus eines Mannes gebracht und dort zu einer meist schon vorbereiteten Heirat gezwungen.

Die betroffenen Frauen können sich einer solchen Eheschließung kaum widersetzen, sie stehen unter Druck von der Familie des Bräutigams, oft aber auch von der eigenen Familie. Gesellschaftliche Stigmata tun ein Übriges.

Es wird mit Traditionen begründet, doch eine jahrhundertelange Tradition sucht man vergebens, sicherlich ist eher in wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Ursache zu suchen. Junge Männer versuchen so die Ehe zu erpressen, weil ihnen die wirtschaftlichen Mittel für den traditionellen Brautpreis fehlen, Ehelosigkeit aber als ein Makel gilt. Kann auch sein, dass mit dem kulturellen Rückgriff archaische Rollenbilder verteidigt werden sollen. Fakt ist jedenfalls, dass alles streng patriarchalen Strukturen untergeordnet ist, die kirgisische Gesellschaft ist streng patriarchalisch.

Obwohl laut Gesetz strafbar, wird der Brautraub geduldet, Verurteilungen gibt es kaum. Und in Deutschland regt sich Widerstand gegen das Gendersternchen. Scheint, dass es uns zu gut geht.

Nichts wie weg also. Tags drauf, 3.8., fährt uns ein Taxi (5000 SOM – ca. 50 €) die 350 km nach Karakol. Auf 1.700 Metern Höhe gelegen hoffen wir auf angenehmere Temperaturen als in Bischkek.

Unterwegs Zwischenstopp in Tscholpon-Ata, einem alten Kur- und Badeort, hier war wohl am meisten los, als der Yssyk Kul noch die Badewanne der Sowjetunion war. Das hat sich geändert, aber nach wie vor kommen Usbeken, Kasachen, Kirgisen und weiterhin auch Russen in den Ort zum Badeurlaub.

Wir haben es nicht aufs Baden abgesehen, wir wollen bei der 5-6-Stunden-Tour einfach eine ernstzunehmende Pause und lassen uns zum Petroglyphen-Museum kutschieren. Für sagenhafte 80 SOM (ca. 80 Cent) schauen wir uns ein paar Steine an, auf welchen Zeichnungen aus vorchristlicher Zeit eingeritzt sind, zusätzlich stehen hier paar Balbals rum, die wir ja schon vom Burana-Tower kennen.

Ca. 5.000 Felsen sind hier verstreut. Die Steingravuren gehen auf das zweite Jahrtausend vor Christus zurück und wurden hauptsächlich von den Skyten geschaffen. Meist sind Tiere dargestellt, verschiedentlich Jagdszenen oder zeremonielle Tänze.

Der Weg entlang des Sees ist spannend, zur Linken die Berge des Tian Shan, zur Rechten der See und dahinter die Gletscher- und Schneebedeckte Gebirgskette des Tian Shan, die zusätzlich noch schick wolkenbekränzt ist. Der Tian Shan (Himmelsgebirge) ist gewaltig: ca. 2.450 km lang, ca. 400 km breit und bis 7.439 m hoch. Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und China teilen sich das schier unglaubliche Gebirgsmassiv.

Über 90% von Kirgistan liegen oberhalb von 1.500 m, 94% der Fläche sind Gebirge, Landwirtschaft ist auf lediglich 20% der Fläche möglich. 30% der Oberfläche sind von Gletschern bedeckt, es gibt mehr als 3.000 Flüsse. Noch.

Die mittlere Höhe ist bei 2.988 m, d.h. Kirgistan liegt auf dem Gipfelniveau der Zugspitze. Es ist eines der höchstgelegenen Länder der Welt.

Beherrschend ist der Tian Shan, im Süden kommen Alai und Pamir hinzu. Es ist gigantisch und stellt die deutschen Alpen locker in den Schatten. Und selbst die Bezeichnung Schweiz Zentralasiens ist ja eine Untertreibung. Ich liebe die Schweizer Alpen und das wird auch so bleiben, zumal ich da auch schon des Öfteren rumgewandert bin, aber Kirgistan ist eine andere Liga.

Als höchster Berg gilt der Pik Pobeda oder Dschengisch Tschokusu im Tian Shan mit 7.439 m.

Ich kann schwer sagen, wo hier die Baumgrenze ist, vielleicht bei 3.000 m? Auf jeden Fall hat Kirgistan kaum Wald, ein Teil des wenigen Waldes begleitet mich ja auf der Tour hoch zum Ala Kul.

Spannend ist aber schon, dass sich in der Region Dschalalabat, direkt bei Arslanbob, der größte Walnusswaldwald der Welt befindet. Geschafft dorthin haben wir es nicht.

Um 16.30 Uhr sind wir in Karakol, sechs Stunden hat’s dann tatsächlich gedauert. Aber eben mit Pause. Unser Fahrer, der kein Wort Englisch, kein Wort Deutsch kann, wir bekanntlich kein Wort Kirgisisch, macht sich auf den Rückweg. Mit seinem coolen 7-Sitzer, wir hatten hier echt guten Sitzkomfort. Aber, und auch das gehört ja dazu, für uns ist das superbequem. Aber der fährt uns so knapp 400 km durch die Gegend und danach zurück und hat seine Kinder auf den Rücksitzen dabei. Die ganze Zeit. Die ganze Zeit total still, was ich völlig verrückt finde, in dem Alter wäre ich niemals so still hinten gesessen. Wir sind schon privilegiert hier und können das gerade bei so einer Fahrt nutzen. Hoffentlich kommt bei dem Preis auch was rum für den Fahrer.

Als Hotel haben wir das Karagat, gute alte Sowjetschule. Platz spielt keine Rolle, aus den Zimmern hätte man jeweils zwei machen können. Aber es hat alles, was es braucht.

Anschließend erster Gang durch die City, aber sowohl Touristinfo als auch Kirche haben schon zu.

Also am nächsten Tag. Voller Unternehmungsdrang starten wir, werden aber recht schnell ausgebremst. Die Info von Destination Karakol hat sich offensichtlich auf die online- und WhatsApp-Kommunikation verlegt, blöd nur, wenn wir eigentlich noch paar Fragen hätten, die sich grundsätzlich eher vis á vis besprechen lassen. Blöd zusätzlich, wenn sie auf WhatsApp nicht reagieren. Touren über Destination Karakol sind also raus.

Näxtes Ziel Fahrradverleih, hatten da einen vielversprechenden Aushang gesehen. Funktioniert auch nicht, exakte Adresse angesteuert, nur is da nix. Falsche Adresse? Alte Adresse? Das gilt es rauszubekommen. Aber zunächst – soll ja nicht nur nerven der Vormittag – die Kathedrale der heiligen Dreieinigkeit. Ein wunderschönes Ding aus Holz mit sechs güldenen Türmchen. Sehr pittoresk.

Die russisch-orthodoxe Kathedrale ist 1895 mit 26 m Höhe das höchste Gebäude der Stadt. Nach der Oktoberrevolution mehrfach umfunktioniert zum Theater, zu einer Schule oder einem Kohlelager. Ab 1991 wieder dauerhaft in Gemeindebesitz und Ort für Gottesdienste.

Doch was machen wir nun mit Fahrradverleih und Touristinfo? Ruslan von der Rezeption des Karagat weiß Rat. Er findet den Fahrradverleih, der mittlerweile in einer komplett anderen Ecke der Stadt ist und klärt unser Anliegen. Wenn wir in einer halben Stunde da sind, haben wir für die nächsten 1,5 Tage zwei Fahrräder. Und so holen wir zwei MTB und cruisen damit durch die Stadt:

Moschee, Russisches Viertel, Park des Sieges. Und eine Touristinfo finden wir auch noch. Unfassbar netter Kontakt, hier funktioniert dann die WhatsApp-Kommunikation. Mirlan berät, hilft, organisiert, keine Frage, die sie uns nicht beantwortet. Wie wir in den nächsten Tagen noch sehen werden.

Auf 1.780 m Höhe liegt Karakol, 1.000 m höher als Bischkek. 70. – 80.000 Einwohner, der Reiseführer schreibt dazu: „Der strategisch günstig am Fluss Karakol gelegene Ort wurde von Baron von Kaulbars als Platz für die Errichtung einer Garnisonstadt ausgesucht. Der russische Außenposten befand sich somit direkt an der Handelsstraße aus der Tschuj-Ebene nach Kaschgar. Baron von Kaulbars war einer von zahlreichen Deutschen, auf deren strukturiertes Herangehen man in der Zaristischen Armee und Verwaltung baute. Auch die Planung und Kontrolle der Bauarbeiten oblag ihm. An der streng rechtwinkligen Ausrichtung der Straßen erkennt man noch heute gut die militärische Funktion der Ansiedlung. Karakol wurde 1869 gegründet und wurde schnell zu einer der schmucksten Städte des vorrevolutionären Kirgistan.“ (Flechtner, Dagmar; Schreiber, Dagmar: Kirgistan. Berlin 72023)

Weiter mit dem Fahrrad, vor allem zum alten Vergnügungspark, wobei sich hier schon lange kein Riesenrad mehr dreht und auch das Stadion nebenan hat vor zehn Jahren das letzte Mal Erstligafußball gesehen, vielleicht wird es noch ab und an für Veranstaltungen genutzt, aber die besten Jahre hat das Stadion fürs erste hinter sich.

Abends nach den Radtouren sind wir hungrig, lassen uns ins Dastorkon fahren, eine Empfehlung von Ruslan, hab bisher nicht das Gefühl, dass er uns irgendwelchen Scheiß andrehen will. Fahren also dahin, eine Taxifahrt in der Stadt kostet pauschal 100 SOM, also ca. 1 €. Wundern uns ein bissel über den Taxifahrer, der aussieht wie 14. Das Restaurant ist die Tourihochburg schlechthin, was hier an Gruppen durchgeschleust wird, ist der Hammer, uns zwei quetschen sie dazwischen, aber wir haben unseren eigenen Tisch und Platz, kein Grund zur Sorge😊. Und damit auch gut Möglichkeit zu beobachten, wir müssen da gar nicht neugierig sein, es passiert einfach. Unfassbares Gewusel, Personal läuft ohne Pause hin und her, Walkie-Talkie im Dauereinsatz, neue Gruppe kommt an, andere geht, dazwischen Folkloremusiker. Aber: das Essen ist gut und reichlich, das Bier schmeckt und wir haben jeweils schon schlimmere Touritempel erlebt. Und je länger wir hier sind, desto lustiger ist es einfach.

Irgendwann aber doch nach Hause, ein Taxi geschnappt und ab geht’s. Hingefahren von einem Taxidriver, der keine 15 ist, zurück ein Taxi, welches den Eindruck vermittelt, jederzeit auseinanderzufallen. Ich liebe es. Und ich liebe die Straßen, auch wenn sie manchmal, auch in der City, arg rustikal daherkommen können. Genau, genau deswegen bin ich hier, es ist nicht alles durchgezirkelt, nicht alles durchchoreographiert, nicht alles auf gleich getrimmt. Überraschungen allenthalben.

Tags drauf starten wir eine Mountainbike-Tour zum Yssyk Kul. Karakol ist zwar die bekannteste und größte Stadt am Yssyk Kul, aber sie liegt eben auch knapp fünf Kilometer entfernt, wir müssen uns also hinbewegen zum See. Also fünf Kilometer sagen die Reiseführer, wir sind dann fünfzehn Kilometer geradelt. Coole Tour, die ne Menge bereithält, mäandernde Flüsse, Landleben mit alternden Fahrzeugen, paar Bussarde.

Am Fischereihafen oder alten Industriehafen landen wir, da is natürlich nich viel mit Baden. Spricht uns eine kirgisische Kleinfamilie an, kurzer Austausch, wo wir hinwollen, und zack, nehmen sie ihr Quad und weisen uns den richtigen Weg, indem sie vorausfahren. Ein Riesenspaß für Mutter, Tochter und Sohn, ein Riesenspaß für uns. Mit abschließend unzähligen Bildern. Uneigennützige hilfsbereite Menschen.

Wir baden im Yssyk Kul, nach dem Titicacasee der zweitgrößte Gebirgssee der Erde. Der heiße See, so die Übersetzung, ist 182 km lang, 60 km breit, bis 668 m tief. Mittlere Tiefe 270 m, 1.607 m über dem Meeresspiegel, eine Fläche von 6.236 m2. Der Bodensee passt also ca. 11 x in die Fläche, vom Volumen her gar 36 x.

Auch bei -20°C friert er nicht zu, wozu es gleich drei Theorien gibt: die schnelle Mischung von Oberflächen- und Tiefenwasser, der hohe Salzgehalt und warme Quellen am Grunde des Sees. Wahrscheinlich ist es die Mischung aus allem. Ob nun Yssyk Kul, Issyk Kul, Yssyk Köl, Yssikköl – wir haben uns für eine, mMn die am meisten verbreitete Schreibweise, entschieden.

Zurück den gleichen Weg, es lässt sich nicht anders legen, natürlich wäre eine Rundtour cooler gewesen. Aber gut, auch so ist es spannend mit unterschiedlichen Perspektiven. Am Ende stehen 31 km auf dem komoot-Tacho.

Drei vier Ziele sollen es heute sein, wir wollen noch mehr sehen als nur die nähere Gegend von Karakol. Ruslan schlägt Skazka, Barskoon, Dshety Ögüz und zum Abschluss den Karakol-NP vor. Um neun Uhr soll’s los gehen, Fahrer kommt – nicht. Zwischenzeitliche Nachfragen an der Rezeption bringen uns nicht wirklich weiter, natürlich ist Ruslan gerade heute Morgen nicht da.

Es brauch hier, wie auch in anderen Dingen, manchmal bissel Geduld und Zeit und ich finde, dass einen der Urlaub auch genau das (wieder) lehren kann, wir sollten den Dingen öfter mehr Zeit geben, mehr Ruhe geben, mehr Geduld geben. всë будет (wsjo budjet) – alles wird. Improvisieren als Lebenseinstellung.

Zwei Stunden später dann geht’s los. Wer weiß, was war. Irgendwas ist ja immer. So können wIr aber in der Zwischenzeit bei Mirlan eine Kajaktour für den nächsten Tag klar machen, auch gut.

Die Kommunikation während der Tour ist eher schwierig, Fahrer spricht nur Kirgisisch, Ruslan am Telefon zwar englisch, ist aber kaum zu verstehen, Übersetzungsapps helfen gerade auch nicht so. Egal, wie immer funktioniert es ja denn doch meistens. So auch hier.

Die Straßen rustikal, die Nordroute um den Yssyk Kul ist deutlich besser ausgebaut, wir sind hier allerdings auf der Südroute unterwegs. Die Straßen in der Regel asphaltiert, jetzt nicht in dem allerbesten Zustand, aber will man bei den klimatischen Bedingungen (Sommer bis zu 40 °C, Winter bis zu -40 °C) ständig neu asphaltieren? Was kostet das? Wie steht es um die Nutzung, macht es also wirtschaftlich Sinn?

Und bevor wir uns groß fragen, was Kirgistan hier vielleicht alles nicht kann, hilft ein Blick auf unsere mittlerweile zu einem nationalen Sanierungsproblem verkommenen Autobahnen, mindestens die Autobahnbrücken. Das Drama um die Rahmede Talbrücke auf der A45 ist ein deutsches Drama, das darf man sich in dem Zusammenhang mal verdeutlichen.

Zurück zur Tour. Unser Fahrer vermittelt den Eindruck, dass er die verlorene Zeit unbedingt wieder reinholen will, es wird ein wilder Ritt, walkürengleich reiten wir dahin. Schlaglöcher spielen für ihn nur eine untergeordnete Rolle, Verkehrszeichen, insbesondere die mit Geschwindigkeitshinweisen, ebenfalls. Bis die Polizei ihn stoppt. Kurz angehalten, was bezahlt, wir warten derweil unter einem Aprikosenbaum. Und weiter geht der wilde Ritt. So einfach kann das manchmal sein.

Um genau zu sein, sind wir im Terskej-Alatau, einem Teilgebirge das Tian Shan unterwegs. Rechts der Yssyk Kul, mal direkt neben uns, mal etwas entfernt, mal türkis schimmernd, mal hellblau, mal tiefblau. Wir erreichen den ersten Punkt, die Märchenschlucht Skazka. Wunderschön, wild, abgefahren. Was die Erosion so alles kann.

Lediglich fünf Kilometer ist der verzweigte Canyon lang, rot, gelb, weiß sind die Lehmgebilde. Sazka, die Märchenschlucht, welch passende Bezeichnung. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, eine Legende sagt, dass hier versteinerte Drachen liegen.

Barskoon ist der nächste Punkt, eigentlich ein 30 Kilometer langes bewaldetes Tal, Ziel ist aber ein Wasserfall, top gelegen, kurze, heftige Kletterei da hoch, das war‘s. In der Ecke stehen dann gleich zwei Gagarin-Denkmäler, weil er sich im nahegelegenen Militärsanatorium von seiner Reise ins All erholt hat.

Auch Dshety Ögüz ist wieder spektakuläre Natur, einfach abgefahren. Bis dahin hat unser Fahrer weder Material noch Nerven geschont. Aber die Kommunikation hat sich ein bisschen eingegroovt, immerhin.

Dshety Ögüz, die sieben Stiere, ist sowohl Name für den Ort als auch das Sanatorium als auch den Fluss. Wir aber wollen zu einer Felsformation, die durchaus an eine kleine Stierherde zu erinnern vermag. Ob nun sieben oder mehr sei dahingestellt. Mag auch sein, dass die Erosion hier zugeschlagen hat und das poröse Gestein aus den sieben Stieren zu einer kleinen Herde geformt hat. Sehr schön auch das leuchtende Rotbraun.

Abschließend noch der Karakol-NP. Hier gehts hoch auf 2.200 m Richtung Skigebiet, welches natürlich vor allem im Winter hochfrequentiert ist. Dementsprechend ist es auch bestens ausgebaut, beste Infrastruktur hier. Für uns bleibt ein kurzer Fotostopp, beeindruckend allemal. Der Karakol, der sich sein Tal geschnitten hat, scheint ruhig dahinzufließen von hier oben, ruhig, beständig und weit. Ich bekomme einen ersten Eindruck von dem, was mich zwei Tage später erwartet. Der Ala Kul auf 3.532 m ist erklärtes Ziel, aber ich habe auch ziemlichen Respekt vor der Tour, seit dem Fotostopp oben im Karakol Ski Base noch bissel mehr.

Danach zurück zum Hotel und Diskussionen über den Preis. Klar will der Fahrer den vollen Preis, hat er mit Ruslan ja auch so abgemacht. Ruslan sieht den Vertrag auch erfüllt, wir hätten ja alle besprochenen Ziele gesehen. Dass aufgrund der Wartezeit (sein ursprünglicher Fahrer hat oder habe sich um 9.15 abgemeldet, ist ja auch egal) eigentlich jeweils nur Zeit für einen Fotostopp war und es weiterging, war ihm wohl nicht ganz so klar. So trifft man sich dann bei einem Preis, bei dem sich nach wie vor alle in die Augen schauen können.

Apropos in die Augen schauen können: unseren Fahrer sehen wir am näxten Abend zufällig wieder im Altyn Kumara, einem deutlich besseren Restaurant als dem Dastorkon einen Tag zuvor. Er freut sich deutlich, uns zu sehen – ich denke, das spricht für meine These.

Zuvor hält unser Tag allerdings noch die eine oder andere Überraschung bereit. Zunächst auschecken aus unseren Zimmern im Karagat, wir wollten verlängern, aber das Hotel selber ist ausgebucht, aber man habe ein kleines Tagungshäuschen, in das wir die näxten drei Nächte einziehen können. So Stand am Vorabend. Heute Morgen dann heißt es dann ‚Njet‘, ein Wasserschaden und man könne ja nicht abschätzen, wie lange die Instandsetzung daure. Wir mögen bitte leider in ein anderes Hotel umziehen. Aber bei der Suche helfe man uns selbstverständlich.

Hatte ich eigentlich schon gesagt, dass dem Improvisieren hier eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt?

Inzwischen helfen wir uns selber und finden ein Hotel. Wollen gerade buchen. Genau, wirklich genau in diesem Moment haben Ruslan und seine Kollegin von der Rezeption ein Hotel für uns gefunden. Natürlich Rabatt usw., man kennt es ja. Okay, ein letztes Mal auf Ruslan vertraut, ab ins Taxi.

Stehen in der Rezeption, sagt man uns, dass wir für zwei Nächte einchecken können, für drei aber nicht. Aber wir können doch für die letzte Nacht wieder im Karagat übernachten. Was wir nicht wollen und so buchen wir fix durch im Jansyn, mit dem wir zufrieden sind.

Haben da zwar unsere Anlaufschwierigkeiten, weil an der Rezeption nur, ausschließlich nur, Russisch gesprochen wird, aber das groovt sich dann i-wann ein. Es gibt ja Apps.

Was für ein Start in den Tag, Pläne ändern sich ja durchaus mal schnell, aber binnen einer Stunde drei Mal die Übernachtungspläne komplett ändern, da waren die Nerven auch schon bissel gefordert. Eigentlich wäre ja auch noch um 11:00 Uhr unsere Kajaktour gestartet, aber Mirlan von der Touriinfo hat eine Verschiebung vorgeschlagen aufgrund der nicht so dollen Wetterprognose.

Angekommen im Jansyn, kann sich Armin bissel um seine Wäsche kümmern, ich fahre in die City, besorge dies und das kläre die Verschiebung der Kajaktour auf unseren letzten Karakol-Tag. Und natürlich ist hier, in der kleinen Tourist-Info meine geplante Tour zum Ala Kul noch einmal ein Thema. Ich will die letzten Vorab-Zweifel beseitigen, der Respekt ist groß und er wird es auch bleiben, bis ich es geschafft habe. Mirlan vermittelt mir ein Taxi, das mich morgens abholen und tief in den Nationalpark fahren wird. Und sie gibt mir ein Voucher mit für das Sirota Yurt Camp. Dazu später mehr.

Anschließend brauche ich noch Briefmarken, meine Postkarten wollen ja noch verschickt werden. Ich finde eine Post, ich finde Briefmarken und schön old school werden die Karten einzeln und händisch abgestempelt. Abends noch einmal essen im Altyn Kumara, das ist auch ein zweites Mal gut. Und wie gesagt, treffen wir unvermittelt unseren Fahrer von gestern.

Und dann startet der Weg zum Ala Kul. Pünktlich um 8:00 steht das Taxi vor der Tür. Tief hinein in den Nationalpark bringt mich der Fahrer und wieder einmal bin ich erstaunt und irgendwie auch fasziniert, was die Kirgisen ihren Autos so abverlangen, was die Straßen den Autos abverlangen. Allerdings fällt es schwer, mir einen allzu großen Lebenszyklus für die Autos vorzustellen.

Der faszinierende Weg geht beständig entlang des Karakol, ist definitiv ein Weg für einen Geländewagen, ist dem Fahrer aber offensichtlich egal. Beeindruckende Schlaglochdichte, abgefahrene Tour, wir holpern und schaukeln uns in seinem alten Lada durch die Gegend.

Bis zur zweiten Brücke, ab da geht nichts mehr, ab da beginnt meine Wanderung. Gezeichnet vom Gletscherfluss hängt sie ein wenig durch, aber mich wird sie schon noch tragen.

Die ersten Kilometer geht es entlang des Gletscherflusses. Mal gemächlich breit, mal wild mäandernd, mal den Weg wässernd, aber immer präsent begleitet er den ersten Teil meines Weges. Gemächlich geht es bergan, sehr gut zum Warmwerden, die Steigungen werden noch kommen. Ich starte auf 2.200 Höhenmetern.

Die näxte Brücke kommt nach 10 km. Eine kleine Hängebrücke markiert das Ende er wildromantisch-gemütlichen Wanderung. Ich bin bei 2.500 Höhenmetern. Ab jetzt geht’s ab, es wird steiler, noch habe ich Wald um mich herum, aber die Baumgrenze erreiche ich recht schnell, es wechselt zu Sträuchern und legt den Blick auf die umliegenden Berge frei. Wunderschön.

Weiter geht’s, wieder wechselt die Szenerie, bald habe ich blanke Felsen vor mir. Also kein Geröll oder so, sondern blanke, scharfkantige, dicke Felsen. Mit entsprechend Felsspalten dazwischen. Will ich mir vorstellen, was sein könnte, wenn ich hier abrutsche? Und nur spärlich verteilte Wegweiser, nicht ganz einfach, hier den Weg hindurchzufinden, denn es gibt keinen, zumindest gibt es keine Ideallinie. Wenn ich bisher noch nicht gewusst hätte, was mir diese Begriffe ‚alpine Erfahrung‘ und ‚absolute Trittsicherheit‘ sagen wollen, hier habe ich sozusagen den Prototyp für diese Anforderung. Krass. Mittlerweile bin ich bei 11 km und 2.900 Höhenmetern.

Ich habe also noch Strecke vor mir, Pause is nicht. Bei 12,5 km passiere ich das Sirota Yurt Camp. Schon nett hier oben auf einem kleinen Plateau, selbst ein klitzekleiner See ist hier, wahrscheinlich eisekalt so weit oben. Eine Übernachtung lasse ich offen.

Kurz zwingt ein Regenschauer zum Verharren, Zeit zum Luftholen auf 2.950 Metern. Ca. 3 km, ca. 600 Höhenmeter liegen noch vor mir.

Treffe hier den Ami wieder, mit dem ich tief im Tal schon kurzzeitig unterwegs war. Lustiger Typ, leider in der Höhe zu schnell für mich, aber das habe ich erwartet. Und neben anderen Begleitern, kurz- oder mittelfristig, treffe ich einen Deutschen, der mich konsequent auf Englisch anspricht. Muss man auch erst mal drauf kommen. Später, als wir dann weiterwandern, fragt er, ob ich schon mal im alpinen Gebirge und auf einer solchen Höhe unterwegs war. Nun mögen sich ja Fitnesswerte unterscheiden, vielleicht auch sichtbar, gerade in der Höhe. Spackos erkenne ich aber auch bei fehlendem Sauerstoff.

Das kleine Plateau verführt mich zu dem Gedanken, eigentlich eher zu der unrealistischen Hoffnung, dass der weitere Anstieg vlt. nicht ganz so hart werden könnte. Zumal gerad eben noch paar Sträucher kommen, einem kleinen Wäldchen nahe. Nebendran ein reißender Gebirgsfluss. Atemberaubend. Atemberaubend schön. Atemberaubend anstrengend.

Ich habe also wieder einen Gebirgsfluss als ständigen Begleiter. Im Vergleich zum Karakol tief unten im Tal ist der Kurgak Tor wild, laut und kraftvoll. Und der Karakol ist ja nun auch nicht nur so dahingeplätschert.

Plateauphase und Miniwäldchen liegen längst hinter mir, der Rest des Weges geht über Geröll. Nur noch 1.000 Meter. Aber auch noch 300 Höhenmeter. Vor mir sehe ich Leute die Wand hochkraxeln. Hab nicht die Zeit, die Phantasie und vor allem nicht die Energie mir vorzustellen, wie ich da nun auch noch hoch soll. Und das ist auch gut so, hätte ich zu dem Zeitpunkt von dem finalen Anstieg mit 40% wirklich gewusst und nicht nur gefühlt, wer weiß … Aber Umkehren ist ja nach dem bisherigen Weg keine Option. Also weiter, immer weiter, Schritt für Schritt.

Unverhoffte Motivation kommt von einer Wandergruppe, die sich gerade auf den Rückweg gemacht hat und ob des Erlebnisses Ala Kul kinderaugengleich strahlt. 50 Meter sind es noch, die letzten 50, obwohl ich bei jedem Schritt das Gefühl habe, dass mir sämtliche Luft aus der Lunge gepresst wird. Es ist gar nicht mal so sehr die Kraft, die Steigung auf den letzten Metern ist unfassbar krass, jeder Schritt erfordert einen Hebel, den ich augenblicklich im ganzen Körper merke.

Aber ich schaffe es! Eine Mischung aus Stolz, Erschöpfung, Rührung und Sprachlosigkeit macht sich breit. Nach 15,5 km und 1.500 Höhenmetern endlich am Ziel. Der Ala Kul auf 3.532 m ist schöner als in jeder Beschreibung, schöner als auf jedem Bild. Unfassbar klare Luft, es ist überwältigend.

Und dann beginnt der Abstieg. Durch das Geröll ist noch alles gut, doch plötzlich einsetzender Regen ist schon etwas ärgerlich. Zumal der etwas hartnäckiger ist als der Schauer vom Aufstieg. Und wenig später in bedenkliches Grummeln übergeht. Ein Gewitter und Blitze kann ich ja nun gar nicht brauchen, mein Abstiegsbuddy und ich sind etwas unentschieden und beschließen, uns bis zum Yurt Camp durchzuschlagen, zum Glück bleibt es bei drei Blitzen und die sind auch nicht in nächster Nähe. Nur der Regen nervt noch, wird aber auch weniger.

Gewitter vorbei, Jurt Camp erreicht, ich stehe vor der Entscheidung, oben zu bleiben oder weiter ins Tal zu wandern. Klamotten sind regennass, Möglichkeiten zum Trocknen gibt es hier oben nicht, großartig Wechselzeug hab ich nicht dabei, ich wollte nicht noch mehr Gewicht bei mir haben. Ich entscheide mich für laufen. Weiter, immer weiter.

Die Felsen sind nun unangenehm regenrutschig, später zwischen den Sträuchern und unten im Wäldchen hab ich immer wieder mit der Balance zu kämpfen, das Profil meiner Wanderschuhe ist komplett zugesetzt mit Schlamm und gelöster Erde, die sind erstmal komplett profillos.

Zurück an der schwankenden Brücke, der Weg ist deutlich entspannter, aber wie auf dem Hinweg habe ich noch 10 km vor mir.

Die Sonne fällt in diesen Breitengraden etwas schneller vom Himmel, fängt an, spärlicher zu werden, Waldweben umfängt mich. Ich wandere so dahin, nutze dann aber doch den Augenblick, einem vorbeifahrenden Geländewagen die Gelegenheit zu bieten, mich mitzunehmen. Nicht so üppig wie der auf dem Bild und dunkler ist es mittlerweile auch.

Als Wanderer ist mir die Beschaffenheit der Waldwege eher so semi aufgefallen, ich war von Panoramen, Gebirgsflüssen und übrigen Eindrücken abgelenkt und ohnehin interessieren einen Wanderer Beschaffenheiten von Fahrwegen ja eher weniger. Nun aber ändert sich meine Perspektive. Schlagartig, schnell, spürbar.

Andrej treibt sich, mich und sein Fahrzeug an Grenzen der Geländefahrkunst, die mich ehrfürchtig staunen lassen. Mindestens zwei Mal sehe ich uns im Karakol, so weit, wie der Wagen abkippt. Aber stoisch balanciert er uns über die Wege.

Als Wanderer mag ich die Wege noch als solche bezeichnen, für ein Auto eigentlich nicht machbar. Dachte ich. Aber – und das ist auch hier das schlichte, aber schöne und deswegen so faszinierende Thema – hier ist es alles bissel anders. Hier sind Straßen, die vielleicht nicht als solche zu erkennen sind, machbar. Hier sind Wege, die für einen Wanderer herausfordernd sein können, für ein Auto machbar. Hier sind unüberwindbar scheinende Furten nur Herausforderungen, die bezwungen werden wollen.

Und während ich mir noch Gedanken mache, wie ich nach der Brücke, meinem Startpunkt heute Morgen, noch in die Stadt, idealerweise zum Hotel kommen soll, naht auch hier unverhoffte Hilfe mit einem Wanderer noch weiter unten im Tal. Der kann sowohl Kirgisisch als auch Englisch als auch Russisch und so können wir drei uns bestens verständigen. Inzwischen sind wir an der Brücke angekommen, nun heißt es aussteigen. Tour zu Ende, denke ich und kalkuliere meine Möglichkeiten, mittlerweile ist es stockfinster. Was dann passiert, kann dann so auch nur in diesem Urlaub passieren. Andrej setzt kurzerhand seinen Wagen in Bewegung und passiert im Schritttempo die Brücke, es ist der Wahnsinn. Heute Morgen noch passiere ich mit leicht mulmigem Gefühl die Brücke, heute Abend passiert ein ausgewachsener Geländewagen die Brücke. Ich bin sprachlos.

Noch den Anfahrtsweg durch den Nationalpark zurück, eine halbe Stunde später bin ich erschöpft, aber überglücklich im Hotel und trinke mit Armin ein Bier und einen Wodka, genau das, was ich mir nach der Tour verdient habe.

Fazit: auch wenn ich gerade den letzten Anstieg zutiefst gehasst habe und nicht nur einmal mit dem Gedanken gespielt habe, einfach umzukehren, war es natürlich eine wunderschöne, herausfordernde, auch im Wortsinne atemberaubende Wanderung. Grandiose Landschaft, grandioser See, grandiose Gletscherflüsse. Natürlich brauch ich nicht nochmal eine alpine Wanderung dieser Länge, schon gar nicht mit 1.500 Höhenmetern, ich war da sicher nicht ganz vernunftgeleitet unterwegs. Zumal allein unterwegs, klar, immer mal wieder unterwegs wen getroffen, aber hier sind längst nicht so viele unterwegs wie in den Alpen.

Ich wollte zu diesem Juwel und das geht eben nur mit einer Wanderung. Und für den Anblick, für die Emotionen und das dort empfundene Glücksgefühl war es jeden verkackten Meter wert.

Der nächste und letzte Tag in Karakol ist etwas ruhiger, wie laufen bissel rum, nehmen das Flair der Stadt in uns auf und schauen, ob uns Souvenirs über den Weg laufen, dann ins historische Museum. Es ist eher ein kleines Heimatmuseum mit Bildern, ausgestopften Tieren und einer Sammlung von Leninabzeichen und -orden, es ist okay.

Eine spannende und liebenswerte Stadt mit dem guten alten Sowjetcharme, mit Highlights und Parks und vor allem dieser spannenden Lage zwischen Tien Shan und Yssyk Kul.

Und auf genau auf diesem Yssyk Kul haben wir zum Abend hin eine Kajaktour gebucht, eine entspannte, angenehm ziellose Tour auf dem angenehm zwischen hellblau und türkis schimmernden Issyk Kul.

Zum Essen probieren wir noch einmal das Dastorkon aus. Nebenan im Altyn Kumara ist es deutlich entspannter, obwohl angeblich beide Läden zusammengehören, aber auch hier, improvisieren gehört zum Tagesgeschäft, irgendein Gericht ist immer nicht da.

Tags drauf stehen Rückfahrt und Rückflug an. Zunächst mit dem Marschrutka von Karakol nach Bischkek. Marschrutkas sind das gängige Fortbewegunsgmittel hier. Grundsätzlich lässt sich der anhalten an den entsprechen Haltepunkten für eine Mitfahrt zu einem schmalen Preis. Aber offensichtlich gibt es auch Marschrutka-Direktverbindungen. Unser Bus wartet, bis auch der letzte der 19 Plätze besetzt ist, dann geht es von Karakol nach Bischkek.

Es gäbe angenehmere Möglichkeiten, aber Marschrutka kostet 500 SOM (ca. 5 €), Taxi 50-60 €, ‚normaler‘ Bus fährt recht spät los, ist schwer buchbar und so nehmen wir die Marschrutka. Es gibt eine halbe Stunde Pause irgendwo im nirgendwo und so kommen wir am ZOB an. Das georderte Taxi bringt uns zum Hotel Orient, ein letztes Mal hier speisen, dann ab zum Flughafen. Mitten in der Nacht zurück, durch die Zeitverschiebung kommen wir um 9:00 Uhr an.

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