HAUS SCHMINKE – 24. November 2022

Nach Villa Savoye (Poissy bei Paris, 1929), Villa Tugendhat (Brno, 1931) nun eine dritte Architektur-Ikone, eine Ikone des Neuen Bauens, das Haus Schminke von Hans Scharoun. Fehlt noch Haus Fallingwater (Pennsylvania, 1939), aber das muss noch warten. Natürlich sind das nicht alle Architekturikonen, eine Liste wäre unerschöpflich, es geht hier um die vier wichtigsten Wohnhäuser der Klassischen Moderne und ihren Einfluss auf die Architekturwelt.

Auftraggeber Fritz Schminke übernimmt 1918 die Leitung der Löbauer Teigwarenfabrik Anker (Loeser & Richter) von von seinem Vater.

Hans Scharoun (1893-1972) kommt ursprünglich aus Bremen, ist in Bremerhaven aufgewachsen, beginnt 1912 ein Architekturstudium an der TH Berlin und arbeitet ab 1919 als freier Architekt.

1932 – 1933 setzt er die Pläne um. In intensiver Auseinandersetzung mit dem Bauherren-Ehepaar Fritz und Charlotte Schminke, die mit den Bauideen der Zeit vertraut sind und dementsprechend auf Scharoun zugehen. Werkbundsiedlung Breslau, Philharmonie Berlin oder Scharoun-Theater gehen auf Scharoun zurück. Oder eben Schminke, wobei er hier abrückt von Rechtwinkligkeit und kubistischen Formen des Neuen Bauens und hier je nach Funktion individuelle Formen entstehen lässt.

Stahlskelettbauweise ist auch hier das Thema und gerade das Erdgeschoss besticht mit seinem großzügigen, lichtdurchfluteten Wohnbereich und nahtlosem Übergang zum Wintergarten, wohingegen das Obergeschoss mit Schlaf- und Funktionsräumen schlichter und spartanischer daherkommt. Die Treppenhalle öffnet den Blick, zieht ihn geradezu in die anderen Bereiche. Unmittelbar daneben die Wirtschaftsräume mit der platzsparenden Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky (s.u.).

Die auskragenden Balkone beider Geschosse verbindet eine stählerne Außentreppe, fast wie eine Reling wirkt es, ein bisschen wähnt man sich auf einem Sonnendeck eine Schiffes, eine durchaus beabsichtigte Anspielung, die sich auch in anderen Bereichen des Hauses finden lässt. Der Architekt zitiert seine Herkunft, das Haus erhält den Beinamen „Nudeldampfer“.

Ein extravagantes und funktionelles Haus mit geschwungenen, strahlend weißen Fassaden. Also jetzt nicht im regnerischen November. Die Architektur entwickelt sich aus der Funktion und den Bedürfnissen seiner Bewohner heraus, form follows function.

Ähnlich wie die Tugendhats haben die Schminkes recht wenig von ihrer Villa, 1939 wird Fritz Schminke zum Kriegsdienst eingezogen, 1945 Flucht vor der heranrückenden Kriegsfront, vorübergehend ist Haus Schminke von der Roten Armee beschlagnahmt. 1946 bekommen sie ihr Haus zurück, werden aber kurze Zeit später enteignet. Da die Firma auch Nudeln an die deutsche Wehrmacht geliefert hat, gelten sie als Kriegsverbrecher. 1951 verlassen die Schminkes Löbau und gehen nach Celle.

Anschließende Nutzungen als FDJ-Klubhaus, Pionierhaus „Oswald Richter“ oder Freizeitzentrum. 1993 verzichten die Erben auf eine Rückübertragung des Hauses, fordern aber eine weitere öffentliche Nutzung. Aufwändige Sanierung und Instandsetzung, seit 2009 zeigt die am 24. Mai 2007 gegründete „Stiftung Haus Schminke“ für das Haus verantwortlich. 2018 weitere Sanierung. Das Haus ist mit sehr guten Audioguides zu entdecken oder im Rahmen von Führungen. Oder man mietet sich für 250,— € die Nacht ein und hat das ganze Haus für sich. Schon spannend und vor allem deshalb möglich, weil von der originalen Inneneinrichtung in Folge der wechselvollen Geschichte nicht mehr so ganz viel übrig ist (unter anderem das Ehebett der Mutter, das Schlafzimmersofa und ein Schreibsekretär, verschiedene Bodenbeläge, Türen oder Fensterbänke). Aber es zählt ja auch eher die Architektur und die ist schwer beeindruckend.

Zwei Filme gibt es zum Thema:

  • Mit Licht gebaut. Ein „Lebensschiff“ von Hans Scharoun. Dokumentarfilm, Deutschland, 2012, 26 Min., Buch und Regie: Niels-Christian Bolbrinker, Kerstin Stutterheim, Produktion: NDR, arte, Erstsendung: 21. Oktober 2012 bei arte, Inhaltsangabe von ARD, online-Video, Ausschnitt, 18:39 Min.
  • Das Traumschiff der Oberlausitz – Haus Schminke in Löbau. Dokumentarfilm, Deutschland, 2019, 44:10 Min., Buch und Regie: Steffen Jindra, Produktion: MDR, Reihe: Der Osten – Entdecke wo Du lebst, Erstsendung: 3. September 2019 bei MDR Fernsehen, Inhaltsangabe von MDR, (Memento vom 22. September 2019 im Internet Archive).

Links: Wiki ~ Grand Tour der Moderne ~ Stiftung Haus Schminke ~ Bauhaus

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