MALTA – Januar : 2012

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Der Hinflug zwei Tage nach Neujahr über Brüssel erfolgt mit einem kleinen Propellerzubringer, fast familiär ist die Atmosphäre an Bord. Ich muss schwer nachdenken, wann ich das letzte Mal mit einem Propellerflieger unterwegs war.

Der Flugkäpt‘n ist ein waschechter Ösi mit breitestem Wiener Dialekt. Sehr lustig, ihm zuzuhören. Windgeschwindigkeiten von weit über 100 km/h bringen den ruppigsten Flug, den ich je erlebt habe, allerdings ist der anschließende Flug deutlich ruhiger, die Maschine ist allerdings auch größer.

Nach Ankunft relativ spät in der Nacht bleibe ich am nächsten Tag im Bereich Sliema und Valletta. Beide Städte besichtige ich bei strahlendem Sonnenschein. Geiles Gefühl, lediglich mit einem Hemd und einer leichten Jacke im Januar durch die Gegend streifen zu können.

Sliema hat einige nette verwinkelte Gassen zu bieten, solange man in der Altstadt unterwegs ist. Abends stirbt die Altstadt nahezu komplett aus und das ganze Leben spielt sich nur noch an der Strandpromenade ab. Wirkt auf mich ein bisschen wie eine Schlafstadt, die Promenade wird von einigen Bettenburgen dominiert. Dafür fahren aber von Sliema so gut wie alle Fähren ab. Mein Reiseführer sagt zwar, dass Sliema wg. der vielen Geschäfte, Büros und Restaurants „ganz und gar großstädtisch“ sei, das Großstädtische beschränkt sich aber auf die Uferpromenade und die Haupteinkaufsstraße Tower Road. Mehr ist da eigentlich nicht.

Valletta ist zwar keinen Deut älter, wirkt aber so, ist deutlich weniger Uferpromenade und lebt aus dem Zentrum heraus. Paar mehr Kirchen stehen hier rum, wichtiger in Sachen Lebendigkeit sind allerdings Großmeisterspalast, Bibliothek und Kathedrale. Definitiv sehenswert und auf eine martialisch beeindruckende Art sind die Festungsmauern. Zwar wird der Eindruck, dass Valletta eine einzige Festung ist, ab und an mal durchbrochen, quasi symbolisch für die Insel ist aber dem Stadtbild ein immerwährender Verteidigungskampf mehr als deutlich eingeschrieben.

Die Geschichte der Belagerung(en) Maltas liest sich wie das Who‘s Who der Weltgeschichte: Phönizier, Byzantiner, Römer in der Antike; Normannen, Königshäuser aus Frankreich und Spanien im Mittelalter. Auch Napoleon erkannte die strategische Lage der Insel zentral im Mittelmeer. Der hatte im Gegensatz zu vielen anderen aber keine lange Freude daran. Die herbeigeholten Briten bereiteten der Besatzung ein Ende und so beginnt 1800 eine – sagen wir mal – partnerschaftlich-wohlwollende Fremdherrschaft. Die ist seit mehr als 30 Jahren vorbei, Linksverkehr, Englisch als zweite Amtssprache und andere britische Einflüsse sind geblieben und ich habe nicht den Eindruck, dass diese abgelehnt werden. Im Gegenteil.

Ein wenig früher, so 1500 in den 60ern versuchten sich die Türken vergeblich an der Eroberung, die Ritter des Malterserordes zogen Vallettas Grundriss daraufhin festungsmäßig rechtwinklig auf, aus der Luft bisschen wie Manhattan. Von den hohen Festungsmauern eröffnen sich immer wieder mitreißende Perspektiven, hat also alles seinen Zweck hier. Gibt schon gut was zu gucken hier sowohl in der Stadt als auch von der Stadt auf Umliegendes.

Die Finger bzw. Knochen der Malteserritter sind auch bei der St. John’s Co-Kathedrale im Spiel. Die St. John‘s Co-Kathedrale ist gewaltig insbesondere innen, kostet allerdings Eintritt. Gestern auf dem Flughafen gab’s noch ein ganzes Bier für sechs Euro, heute ne ganze Kirche. Es geht voran. Unglaublich prächtig ausgestattet und vollgestopft mit Blattgold, Bildern und Bilderchen, Altären und Altärchen. Schon ein Riesending. Eindruck machen auch die auf dem ganzen Kirchboden verteilten Grabplatten; farbig und reichverziert. Kein Wunder, dass zum Schutz über die meisten ein Teppich gelegt ist. Über 400 Ritter liegen in dieser ehemaligen Hauptkirche des Malteserordens.

Aus verschiedenen Gründen hab ich es nicht mehr geschafft, einen Mietwagen noch vor der Reise von Deutschland aus zu ordern. Sollte dann wohl nicht sein. Scheint einen vorherbestimmten Sinn gehabt zu haben. Wagen für die fünf Tage wäre mit ca. 100 Euro zu Buche geschlagen, Spritkosten noch nicht mit drin, Parkplatz- und Fahrnervereien ebenfalls nicht. Vor Ort gibt es recht unverbindliche Hop-on-hop-off Angebote. Einsteigen, losfahren, runterhüpfen und je nach Zeitbedarf später vom gleichen Ort weiterfahren. Die Busse kreisen ja die Tour und ne halbe Stunde später ist der nächste da. Probeweise schieße ich mir ein Ticket. Für 15 Euro geht’s über die halbe Insel. Kann ich also für die andere Inselhälfte gleich nochmal machen, bei solchen Angeboten gibt’s ja meist noch schick Rabatt. Während des Herumfahrens sehe ich zwei weitere Gründe: die Straßen sind zumeist nicht wirklich gut und im Verkehr regiert, sagen wir mal entspannte Anarchie.

Dass man letztlich in zwei Tagen einmal entspannt um die Insel ist, sagt so ziemlich alles über die Größe. Dennoch, nicht alles spielt sich an der Küste ab. Mosta ist einer der zentralsten Orte; verwinkelt und abseits der Küste gab es hier Schutz vor Piraten. Star der Stadt hingegen ist die Rotunda mit der wohl viertgrößten Kirchenkuppel der Welt (nach Petersdom und Pantheon in Rom und St. Maria del Fiore in Florenz). Sie kann auch ein veritables Wunder präsentieren: wiederholt schlagen Weltkriegsbomben auf Malta ein, folglich schlägt die Gemeinde in der Rotunda auf, eine Bombe schlägt durch die Kuppel, diverse Kreuze werden geschlagen, woraufhin die Bombe nach dem Aufschlagen die durchschlagende Wirkung einfach vergisst. Unschlagbar bombige Geschichte für ein tiefgläubiges Land wie Malta.

Mit Mdina folgt genauso viel sichtbare und gelebte Religiosität, nur präsentiert sich der kleine Ort mittlerweile als eine Art konserviertes Mittelalter-Museumsdorf. Ohne Zweifel schön anzuschauen. Zu sehen sind nur Touristen.

Die Golden Bay im Südwesten der Insel sei einer der schönsten Sandstrände Maltas, was ich blind unterschreiben würde, was wiederum auch so schwer nicht ist, denn andere Strände hab ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht gesehen. Abgesehen davon finde ich ihn recht fotogen. Das genaue Gegenteil sind St. Paul‘s Bay und Buggiba, denn es sind ineinander übergehende Bettenburgen und bestechen durch komplette Strandlosigkeit. Ich glaub, hier urlauben vor allem Engländer und Deutsche, die es noch nicht ganz zum Engländer geschafft haben.

Gozo steht an. Gozo sei die ländliche Schwester von Malta. Als ob Malta städtisch geprägt ist, aber egal. Ländlich ist Gozo ohne Zweifel, reizvoll ohne Zweifel auch. Die die Dörfer dominierenden Kirchen interessieren mich nicht übermäßig, den Typ Kirche hab ich auf der Hauptinsel schon ein paar Mal gesehen. Die kleinen Dörfer sind niedlich, haben aber schon bei der Ramla Bay verloren. Ein steifer, mitunter recht unangenehmer Wind insbesondere direkt ins Gesicht schiebt deutliche Wellen vor sich her. Hier gleiten sie noch sanft an Land. Naturpanorama satt sozusagen.

In Marsalforn bleibe ich zunächst sprachlos am Kai stehen um dann möglichst schnell nach einer Gelegenheit für trockene Füße zu suchen. Es gelingt nicht, stört aber auch irgendwie nicht. Zu faszinierend sind die Wellenberge, die sich unablässig-ungebremst an der Kaimauer brechen und die Straße beständig wässern.

Später beim Azure Window und Fungus Rock wird das sowieso egal, weil binnen kürzester Zeit im Prinzip alles meerwassergetränkt ist. Waren die Schuhe bisher semifeucht, stehen sie hier gemeinsam mit der Jeans binnen Minuten mehrmals tief im auf das Kliff geschlagene Wasser. Mehrmals bricht sich die Brandung und was sie an Wasser über die Steilküste wirft ist deutlich schneller durch die Schuhe und in die Kleidung gerollt als Wegspringen geschweige denn -laufen möglich sind.

Die absolute Naturgewalt: während ja mein Lieblingsgeysir in Island durchaus mit Vorhersehbarkeit und begrenzt auf einen vorhersehbaren Radius ausbricht, machen die aufgepeitschten Wellen, was sie wollen. Mal brechen sie sich am Kliff, an der Hafenmole oder was auch immer, mal bauen sie sich zu einer fotogenen Gischtwolke auf und ein anderes Mal zu einer schwer beeindruckenden Wasserwand. Faszinierend-schaurig-kitzlig: ich sehe, wie die Wand sich aufbaut, begreife umgehend, welch heftige Größe sie annehmen wird und keinen Wimpernschlag später realisiere ich, dass es kein Entrinnen geben wird. Und schon bin ich klitschnass. Entweder es schlägt über mir zusammen oder erwischt mich frontal oder es reißt mir buchstäblich die Füße weg. Entrinnen gäbe es bei sicherer Entfernung, aber dann wäre ja das Schaurig-Kitzlige am Schönen dahin.

Gemessen an dem, was eben noch an Sturm über die Insel tobte, fährt die Fähre zum Festland unglaublich ruhig. Wahrscheinlich der Windschatten von der kleinen Nachbarinsel Comino; sobald wir nämlich an der vorbei sind, legt sich der ja auch nicht ganz kleine Kahn mal gehörig auf die Seite. Werden lustige zehn Minuten bis zum Dock: links/rechts gerne mal 30° Schieflage. Passend und erwartbar peitscht nun der Sturm auch noch Regen vor sich her bzw. in und durch die Kleidung, denn es ist ja noch ein klitzekleiner Weg von der Fähre zum Bus nach Sliema. Dachte eigentlich, dass meine Klamotten bereits durch wären.

Vor diesem Hintergrund ziehe ich die Option Fußball für den heutigen Abend nicht. Bei allem Respekt für den maltesischen Fußball, aber diesen schwer bewegenden Tag mit einem Mittelfeldduell der maltesischen Liga abzuschließen, hieße, den Tag entweihen. Beim Essen versuchen, die Bilder wirklich im Kopf ankommen zu lassen, finde ich wesentlich passender. Nur: was mit den nassen Klamotten machen? Endlich weiß ich, wozu in meinem Appt. eine Küchenzeile steht. Die klitschnassen Schuhe kommen in den Backofen, die Jeans hänge ich fürs erste über die Backofentür. Später wird sie vor die Klimaanlage gehängt. Das Salz wird so gut wie möglich aus der Jacke geklopft. Für den Abend muss der Jogger reichen. Da die Insel durchaus britisch geprägt ist, sieht man hier auch den einen oder anderen Jogger im Pub und da meine Jeanstrocknung noch andauert, geht’s zum Essen eben mit dem Jogger in den Pub. Mir war bisher nicht ganz klar, warum ich den überhaupt mitgeschleppt hatte. Das stilecht sonnengerötete Gesicht habe ich mir ja durch die Sonne der letzten Tage zugelegt:-).

Ein wenig Festungsgeschichte in Vittoriosa und Senglea steht noch aus, um Valletta noch aus einer weiteren Perspektive zu sehen. Auch diese Städte wurden von den Maltesern befestigt. Heute ist in Victoriosa das Bild ein wenig gebrochen durch die Jachten im geschützten Hafen. Dennoch, ein letztes Mal geht es um den fortwährenden Abwehrkampf, der sich durch die Geschichte des Landes zieht wie nur noch die tiefe Religiosität.

Wenig später bin ich weiter östlich in dem kleinen Fischerdörfchen in Marsaxlokk, welches vor allem durch die pittoresken Fischerboote von sich reden macht. Es sind immer wieder diese kleinen, eher unscheinbaren Fischerdörfer, die erquicken: Marsaxlokk hier, Cala Figuera auf Mallorca oder auch Ullapool in Schottland. Das Leben läuft hier unbeeindruckt ruhig, irgendein Anflug von Hektik ist nirgends zu verspüren und erfreulich wenige Touristen verirren sich hierhin. Wertvolle Momente der Ruhe. Hier sind sie zusätzlich noch sehr farbenfroh.

Auch im Areal um die Blaue Grotte ist nicht viel los. Auch hier eigentlich wohltuende Ruhe, obwohl ich gerade hier anderes erwartet hätte. Die ortsansässige Touristikmeile unterstütze ich mit dem Kauf eines Wassers; ich sehe die Enttäuschung in den Gesichtern immer noch, aber zu einer Bootsfahrt in die Grotte kann ich mich nicht motivieren. Dass hier eine Kalksteinküste im Laufe der Zeit an verschiedenen Stellen ausgehöhlt wurde, sehe ich auch von oben. Folklore ist schön, aber zu viel muss nich. Hagar Qim liegt ja gleich um die Ecke von der Grotte und ist sicherlich Maltas bedeutendste Tempelausgrabungspräsentation. Hätt ich vlt. interessant gefunden, für neun Euro sind mir die Steine da aber zu alt.

Heute ziehe ich die Option Fußball. Bus 203 bringt mich von Sliema zum Ta‘ Qali, dem Nationalstadion, das ein wenig abseits der Küstenregion steht. Stattdessen schaut die Kathedrale von Mdina auf das T’Qali, göttlicher Beistand ist also immer in der Nähe. Den brauchen die Teams im Spitzenspiel nicht, sie haben ihre Supporter. Es ist dem kleinen Land und den damit eingeschränkten Möglichkeiten geschuldet, dass Doppel- oder Mehrfachspieltage in einem Stadion stattfinden. So kommen mir auf dem Weg zum Stadion Autos mit den Farben des ersten Tagesmatches entgegen, während mich gleichzeitig Autos mit Farben des nun anstehenden Matches überholen. Sowohl die Supporter der Hibernians als auch die Vallettas haben eine Blaskapelle dabei und so trägt der Support auch entspannt-karnevalistische Züge. Das Spiel, auch wenn es das Spitzenspiel der Liga ist, ist der Liga angemessen, aber leidenschaftlich geführt. Es endet leistungsgerecht 1:1.

Zurück ist alles angerichtet für eine Ankunft in Braunschweig um 20:00, doch dann platzt der Anschlussflug von Zürich nach H***. Ich bin davon überzeugt, dass es an der im Fliegisch betitelten „final destination“ liegt. Zwei Stunden später geht noch ein Flieger, da hat sich dann aber die Bahnsituation in H*** dramatisch geändert, was will man erwarten. Nochmal herzlichen Dank an Andreas für den spontanen Schuttleservice!

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