ARMENIEN – März : 2018

Wieder in den faszinierenden Kaukasus. Armenien startet für mich von 0 auf 100 in zehn Minuten. Ich nehme nicht den Umweg übers Hotel, ich schlafe im Flugzeug, SchAppi ist früher in Armenien. Er und das Auto von Hyur holen mich am Swartnoz ab und los geht‘s durch Jerewan zum Garni-Tempel. Später vervollständigt Robin unsere Gruppe.

Der erste wirkliche Punkt für mich ist der Garni-Tempel. Der Trip zuvor durch die Stadt nimmt mich noch nicht so richtig mit auf die Reise – abgesehen vom Genozid-Denkmal -, später werden wir feststellen warum. Am Garni-Tempel dann Pause mit Essen und Bier und viel Geschichte. Bis in die Zeit vor Christus reicht die Geschichte des Tempels und der Anlagen drum herum mit Kirche und Badehaus zurück.

Das erste Kloster auf dem Weg ist dann das Höhlenkloster Geghard. Im 4. Jahrhundert von Gregor dem Erleuchter gebaut und schön gelegen – wie so vieles hier. Gregor wird uns noch ein paar Mal über den Weg laufen. Das reicht dann auch erstmal an einem kürzeren ersten Tag, an dem wir wegen später Ankunft erst gegen Mittag starten.

Tags drauf starten wir mit Chor Wirap. Ohne Zweifel cool und bedeutend und hier haben wir Gregor wieder. Gregor machte das Christentum zur Staatsreligion Armeniens und war der erste Katholikos, das Oberhaupt der Armenischen Apostolischen Kirche. Gregor soll hier 15 Jahre in einen Erdloch gehaust haben müssen, das war zu Zeiten, als sich das Christentum hier erst noch durchsetzen musste, Gregor als einer der Vorkämpfer hatte darunter natürlich besonders zu leiden. Um 300 muss das gewesen sein, denn Gregor lebte von 240 – 331, das Kloster entstand ca. 300 Jahre später.

Doch machen wir uns nix vor, vor allem sind wir hier in der Hoffnung auf einen spektakulären Blick auf den Ararat. Is aber leider nicht, neblig ist es und damit erwischen wir einen Tag, an dem der Ararat nicht oder nur schemenhaft zu sehen ist.

Schade eigentlich. Andererseits wundert es uns denn auch nicht weiter. Der Dunst ist in den Tagen ein ständiger Begleiter, selten reißt er auf. Diese wenige Momente vermitteln unmittelbar das Gefühl einer spektakulären Landschaft. Aber es bleibt leider nur bei Momenten, immerhin können wir die Temperaturen genießen, nach diesem nervig langen Winter in Deutschland geradezu ein Erweckungserlebnis.

Mindestens in der Region um Jerewan ist der Nebel keine einfache Hochnebelbank, sondern dicker, aus der Stadt herausgetragener Smog. Oder in die Stadt hereingetragener. Wie auch immer, es ist eine dicke Suppe, irgendwo auf unserem Weg verbrennt immer irgendwo irgendwer etwas. Sicherlich oft genug nur irgendwelches Gestrüpp aus dem Garten, aber eben sicher nicht immer nur Gestrüpp und an so vielen Stellen – das beeindruckt zunächst nur unsere weißgottnichtzartbesaitete Lunge – aber eben nicht nur die. Und die Autos helfen kräftig mit. Umweltplaketten oder Feinstaubdiskussionen – hier fernab jeder Realität. Hier sind ganz andere Probleme zu lösen, hier ist der Umweltschutz, so wie wir ihn erlernt haben mit Müllbeseitigung und Mülltrennung und so, ein sehr entwicklungsfähiges Thema. Hier geht es darum, seine Existenz zu sichern. Jeden Tag.

Dazu zählt auch, dass so viele der alten Autos auf dem eigenen Grundstück stehen. Stehen und vor sich hinrotten. Eine Regelmäßigkeit gibt es nicht, Autofriedhöfe, wie es Mariam, unsere Guide, sagt, gibt es, aber nicht alle nutzen diese. Viele viele Autos stehen auf den Grundstücken und rotten vor sich hin. So geben auch sie der Region südlich von Jerewan ein Gesicht, das Gesicht einer kargen, eher armen Region.

Allerdings – auch das gehört zum Bild des kargen Landstrichs hier – sind wir auch zu einem Zeitpunkt unterwegs, an dem die Natur noch nicht überall so weit ist, die Aprikosenbäume blühen zwar bereits, die Pfirsichbäume hingegen noch nicht und ohnehin fehlt noch ein Stück zum Frühling, von den Temperaturen mal abgesehen. Das hätte das Bild sicher etwas aufgehübscht und die Gegend nicht so karg erscheinen lassen.

Zum Highlight des Tages entwickelt sich daher Norawankh. Ein einsames Kloster hoch in den Bergen, wunderschön gelegen und natürlich auch das mit viel Geschichte. Eine schlichte Anlage, aber eine sehr schöne Anlage aus dem 13. Jahrhundert, 1840 bei einem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen und im 20. Jahrhundert wieder rekonstruiert. Berge und Kloster bilden eine anziehende Symbiose.

Weiter zum Selimpass und der Karawanserei Selim. Auch hier ist der Himmel eher verhangen. Der Ausblick dementsprechend nicht so berauschend. Wir sind auf 2.410 Metern Höhe. Gut erhalten ist die Karawanserei, 1332 wurde sie errichtet. Spuren des Islams und Spuren des Christentums treffen aufeinander. Auch die Seidenstraße hatte in Armenien ihre Bedeutung und hier ist ein Kreuzungspunkt. Gleichwohl hat die Seidenstraße hier weniger Gewicht im öffentlichen Bild als in Usbekistan, es sind nicht mehr so viele Spuren zu finden, die Karawanserei Selim ist die am besten erhaltene, andere, wie z.B. Arutsch, sind da weniger gut erhalten.

Wir runden den Tag am Weingut Areni ab, seit 1994 ist es am Start und hat neben einem Rot- und Weißwein auch einen Granatapfel-Wein. Sehr spannend, auch der jüngste Jahrgang des Roten. Die nächsten Abende sind gesichert:-) Spuren des Weinbaus in Armenien lassen sich 6.000 Jahre zurückdatieren, wir sind also auch hier auf wahrhaft historischem Grund unterwegs und trinken Tradition und Geschichte eines faszinierenden Handwerks.

Abends streifen wir dann durch Jerewan und wie wir mittlerweile wissen, ist die Stadt mitnichten so alt, wie wir dachten, ist doch Armenien so alt und reich an Geschichte. Aber nein, das heutige Jerewan blickt auf einen architektonischen Start im 19./20. Jahrhundert zurück, die alte Hauptstadt Erebuni von 782 liegt deutlich außerhalb des Zentrums.

Die Architektur in den Straßenzügen erinnert an andere Hauptstädte des ehemaligen Sowjetreiches. An Tbilisi sowieso, wegen Alexander Tamanjan, dem Architekten, der das Stadtbild Jerewans maßgeblich prägte und auch in Tbilisi seine Spuren hinterlassen hat, aber auch an Straßenzüge in Almaty, selbst Kiew. Die Straßenzüge selber sind Sowjetreich-entsprechend breit, klar und mehrspurig. Klare Achsen – breite Achsen. Haussmann hat’s erfunden – Diktaturen lieben ihn dafür.

Wir würden Jerewan gern viele Highlights zusprechen, nur finden wir nicht so wahnsinnig viele. Der Republiksplatz, die Blaue Moschee, die Vernissage. Die Arkaden hätten ein Highlight werden können, weil sie einen schicken Blick über die Stadt hinaus anbieten. Nur ist es am dafür ausgesuchten Fußballtag so dermaßen stickig und versmogt, dass wir es erstens nicht lange in dieser Luft aushalten und zweitens der Blick kaum überzeugen kann.

Dann also raus zum Stadion, Karten kaufen. Die Luft hier ist keinen Deut besser, zusätzlich ist unangenehmer Wind. Aber der Markt ist total spannend. Jetzt brauche ich zwar gerad keinen Gewindebohrer oder einen Satz alte Feilen, aber hübsch anzuschauen ist er allemal.

Andere Lebensorganisation, man muss versuchen, auch mit wenig etwas Geld zu machen, das Einkommensniveau liegt deutlich unter unserem und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Ein Großteil der Industrie ist mit dem Ende der Sowjetunion zusammengebrochen.

So ein Perspektivwechsel durch das Reisen hilft ja auch immer wieder mal, sich selbst zu erden. Natürlich ist nicht alles gut, was in Deutschland läuft, gerade im Vergleich aber geht es uns so dermaßen gut. Einkommensniveau, Infrastruktur, Entwicklungsmöglichkeiten.

Abends, am 24.03.2018, ist unser angestrebtes Spiel im Vazgen Sargsyan Hanraptakan Stadium, mittlerweile ist auch Robin mit dabei, er ist wegen des U-21-Länderspieles im Eintracht-Stadion etwas später angereist. Armenien spielt gegen Estland in einem Freundschaftsspiel 0:0. 3.600 Zuschauer sehen das Spiel. Klingt genauso, wie es letztlich war, allerdings ist das Stadion ganz hübsch und Henrikh Mkhitaryan hat zwei Freistoßchancen. Estland hat sogar ein paar Awaysupporter dabei, der beste von ihnen ist der Linienrichter-Imitator. Später fängt es dann sogar noch an zu regnen.

Der Regen am Abend hat die Luft angenehm aufgeräumt. Nun haben wir neben den angenehmen Temperaturen auch noch Sonnenschein und der Smog hat sich weitestgehend verabschiedet. Macht gleich noch mehr Spaß.

Es geht Richtung Norden. Saghmosavankh aus dem 13. Jahrhundert ist das Ziel. Wunderschön gelegen über der Khasach-Schlucht. Ein atemberaubender Blick. Danach geht es zum Denkmal des Armenischen Alphabets, 405 geschaffen zur besseren Verbreitung des Christlichen Glaubens im Lande. Extrem windig dort.

Weiter zur Kirchenruine von Arutsch. Obwohl, ist ja bissel mehr als eine Kirchenruine. Ziemlich große Klosteranlage war das mal. Die Kathedrale aus dem 7. Jahrhundert ist größer als die bisher gesehenen, aber auch weniger gut erhalten. Direkt nebendran sind ausgedehnte Palastruinen. Faszinierendes Ding, macht mir sehr viel Spaß hier.

Abschließend folgen die Ruinen von Dashtasem und siehe da, den Ararat kann man wirklich sehen. Natürlich etwas entfernt, aber deutlich besser als vor dem Regen. Sehr schön. Leider gibt es keine Möglichkeit, die Festung Amberd zu sehen, der Weg ist leider nach dem Winter noch gesperrt.

Nun haben wir auch ein Bild zu den Geschichten des Ararat, wir können noch besser nachvollziehen, warum er ein derartiges Symbol ist. 5.156 Meter hoch ist er, erhaben und weithin sichtbar – wenn die Luft mitspielt. Und mythisch. Ein mittlerweile erloschener Vulkan, ein Ort an dessen Fuß sich 3.000 Jahre vor Christus Menschen ansiedelten. Und dann ist da ja auch noch Noah, der nach der Sintflut hier mit seiner Arche gestrandet sein soll und von wo sich die Menschheit neu ausgebreitet haben soll. All das fließt hier zusammen und dem unterlegt ist die Sehnsucht nach diesem Berg, der eng mit der Geschichte Armeniens verbunden ist, aber mittlerweile eben nicht mehr auf dem Gebiet Armeniens liegt.

Und schon geht’s Richtung Ende der Tour. Nicht aber, ohne dem Sewansee seine Aufwartung gemacht zu haben. Zunächst sind allerdings mit Haghardsin und Goschawank zwei Kirchen vorgesehen. Landschaftlich reizvoll ist die Tour. Allerdings können wir die Landschaft angfangs nicht angemessen würdigen, zu starke Schlafdefizite. Was halt passiert, wenn man am Abend zuvor ins Erzählen kommt. Also so richtig. Mit Musik von Einstürzenden Neubauten und Daily Terror und Sisters of Mercy und so. SchAppis geplante Weinmitbringsel leer, Minibar leer, Vorräte leer. Jede Minute war es wert. Alles hat seine Zeit, alles brauch seine Zeit, alles verdient seine Zeit. Lediglich über die Uhrzeit kann man sich unterhalten:-)

Aber auch ohne das sind wir wohl etwas kirchenmüde, Goschawank und Haghardsin reißen uns gerad nicht so mit. Es ist klar, welche Bedeutung die Religion für Armenien hat, welche Bedeutung die Kirche, welche Bedeutung der christliche Glaube. Mariam wird nicht müde, das zu betonen und hat ja letztlich auch Recht damit. Der christliche Glaube, die christliche Geschichte haben eine zentrale Bedeutung für Armenien. Armenien ist das Land, welches als erstes den christlichen Glauben angenommen hat, 301 war das. Ein zentraler Topos in der Armenischen Geschichte, dem wir sehr oft auf der Tour begegnen. Gregor der Erleuchter ist die entscheidende, die treibende Kraft hierbei.

Der Sewansee mit Sewanawank bietet dann noch mehr Landschaft. Auf 1.900 Metern Höhe ist der See, 1.272 Quadratkilometer groß und damit ungefähr doppelt so groß wie der Bodensee. Die Armenier lieben ihn, nennen ihn liebevoll das Meer. Und auch wenn er in der Sowjetzeit gut 20 Höhenmeter verloren hat, eine ökologische Katastrophe wie beim Aralsee blieb aus. Sichtbare Folge ist allerdings, dass nun die ehemalige Insel beim Örtchen Sevan zu einer Halbinsel geworden ist. Mittlerweile sind die Wasserentnahme zur Energiegewinnung und Bewässerung eingeschränkt. Und das ist gut so.

Sewanawank ist das letzte Kloster der Tour. Und hier kommt auch noch ein besonderer Chatsch’khar (Armenischer Kreuzstein) zum Tragen. Es gibt keine zehn, auf denen Jesus selbst dargestellt ist, auf den anderen sind es „nur“ Kreuze (siehe Bild unten). Und hier ist eben einer mit Jesus-Darstellung. Extrem windig ist es hier oben, aber der Blick über den See ist prächtig. So geht die Tour langsam zu Ende. Einmal noch Essen im Sherep, dann geht ein paar Stunden später der Flieger.

Und hier haben wir dann auch noch das Glück, dass sich der Ararat abschließend in seiner ganzen Pracht zeigt. Traumhaft. Schöner kann der Abschied nicht sein.

Fazit: Bei allen kritischen Punkten bleibt festzuhalten, dass es eine schöne Tour war. Eine spannende Tour, eine abwechslungsreiche Tour. Sicher, nicht alle Ecken haben uns restlos überzeugt und der Smog der ersten Tage war schon sehr anstrengend. Andererseits: wir hatten durchgehend angenehmes Wetter, teilweise sogar T-Shirt-Wetter. Gerade vor dem Hintergrund des bis Ende März gehenden Winters in Deutschland sehr sehr geil. Jede Menge Eindrücke, jede Menge Erfahrungen. Sicher würde ich jetzt nicht zwingend sofort wieder nach Armenien fahren, aber in fünf oder zehn Jahren schauen, was sich wie entwickelt hat, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Schon allein um noch einmal einen Teller Kräuter zu essen und ein Ararat zu trinken:-) Und vielleicht probiere ich ja noch einmal ein Schüsselchen Spas.

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