TOSKANA – Ostern : 2008

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Pisa, Livorno, San Gimingiano, Siena und Florenz – Chianti, Crete Senesi und Val d’Orcia – Fußball, Wein und lecker essen in Italien.

Livorno beschränkt sich für den ersten Tag auf Einchecken und Fußball, denn der Flieger geht nach Pisa, wo ich erst noch meinen Mietwagen abholen muss. Der Auftakt ist vom Feinsten. Das Hotel liegt bestens, das Stadio Armando Picchi ebenfalls. Picchi wurde 1935 in Livorno geboren, war Spieler und Trainer bei Livorno, spielte ein paar Länderspiele, verstarb nur 36jährig. 2000 wurde das Stadion nach ihm benannt. Gute Stadtlage und sichtbar alt ist das Stadion (gebaut 1933-1935).

Das Stadion hat Charakter, keine sofort offenbare Schönheit, sondern ein klarer Fingerzeig auf gelebte Geschichte. Diese ist in dieser Stadt vor allem links, die Kommunistische Partei Italiens wurde 1921 hier gegründet. Und die Ultras Livorno sind ebenfalls klar links einzusortieren. Meistens brachial laut geben sie den Ton an. Gefällt mir hier. Das Spiel wird fast über die komplette Spielzeit klar von Livorno Calcio bestimmt; nur beim Ausnutzen der Torchancen stellt man sich ein ums andere Mal zu umständlich an oder scheitert direkt am bestens aufgelegten Torhüter. Überflüssigerweise fängt man sich auch noch das 0:1 und bis man das egalisiert hat, hat man so viel Kraft aufgewendet, dass es nicht mehr zu einer ernstzunehmenden Schlussoffensive reicht. Die Punkteteilung schmeichelt dem Gast aus Reggina.

Ein ausgedehnter Gang durch die erwachende Stadt eröffnet den folgenden Tag. Die alte Hafenstadt Livorno hat gleich neben dem Hotel die Neue Festung zu bieten, ansonsten den Fosso Reale, ein Kanal, den die Medici im Zuge einer Hafen(neu)gründung 1571 anlegen ließen. Er umschließt den Kern der Altstadt. Die hat im übrigen weit mehr schöne Ecken als so manches Mal zu lesen oder zu hören; man muss halt nur etwas genauer hinschauen. Aber wer weiß, vielleicht war Livorno vor den Bomben bzw. Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg eine strahlende Schönheit und fällt demgegenüber heute ein wenig ab.

Volterra 50 km landeinwärts ist da deutlich mehr Mittelalter. Hoch oben auf einer steilen Anhöhe steht die kompakte Stadt und ist, weil deutlich kleiner und deutlich weniger bekannt als z.B. Siena auch deutlich weniger von Touristen heimgesucht. Die wenigen, die hier sind, genießen den Blick in das weite Cecina-Tal oder verteilen sich recht schnell und unsortiert über die verwinkelten mittelalterlichen Gassen. Keine Spur von Hektik, auch nicht auf der Piazza die Priori, wo der Palazzo aus dem 13. Jhdt. steht und selbstverständlich die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Herrlich entspannte Ruhe in der Frühlingssonne.

Die nächste faszinierende Dosis Mittelalter hole ich mir mit und in San Gimingiano. Auch hier dauert es keine zehn Minuten und ich fühle mich komplett der Zeit enthoben. Angesichts der Geschlechtertürme, die von nachbarschaftlichem Konkurrenzkampf auf dem Bausektor künden, sollte das sicher nicht in Frage stehen. So sah es wohl aus im Mittelalter in verschiedenen Städten, wenn die Adelsfamilien den Rivalen zeigen wollten, wie potent und mächtig sie sind. Es wurde einfach ein noch höherer Geschlechterturm gebaut. 72 waren es mal. Mitte des 14. Jhdts. war mit diesem konkurrierenden Bauen Schluss, Florenz übernahm die wirtschaftliche und politische Herrschaft.

Danach kurve ich noch ein wenig rum, genieße die Landschaft und nähere mich meiner Unterkunft in Lamporeggio, einige Meter hoch im Monte Albano. Agriturismo ist das Zauberwort und das soll mir in den nächsten Tagen bei gutem Wein und gutem Essen viel Ruhe und Entspannung inmitten von Olivenhainen und mit einem hinreißenden Blick auf das zu meinen Füssen liegende Tal bringen. So meine (Ideal)Vorstellung. Passte leider nur nicht ganz, v.a. weil sich auch in diesem Landstrich Europas der Frühling noch nicht wirklich zeigen wollte. Es war in den Tagen einfach zu kalt, um sich da abends noch auf die Terrasse des zugehörigen Restaurants zu setzen. War eher Kaminwetter. Auch schön, wenn es nicht regnet und den Tag torpediert, was zum Glück nur einmal der Fall war. Aber der Reihe nach.

21.03.2008: Mit meinem Wagen sind die 50 km nach Pisa schnell erledigt. Überraschenderweise ist das Parken auch kein Problem, kaum zehn Minuten von der Innenstadt kann ich den Wagen abstellen ohne Kosten und v.a. mit der Gewissheit, dass der Bereich später nicht gesondert abgeriegelt wird wegen des abends stattfindenden Spiels der Serie B hier. Später zeigt sich: um einen je gesonderten Einlassbereich pro Sektor zu schaffen, werden einige normale Verkehrsstraßen konsequent abgeriegelt.

Zunächst aber steht das touristische Programm an. Und das heißt vor allem: Schiefer Turm. Ganz klar ist er DIE Attraktion von Pisa, wobei mich das ganze Ensemble von Dom, Bapisterium, Camposanto und Schiefem Turm doch in seiner Gesamtheit schwer beeindruckt. Vor allem wegen des weißen Marmors atmet die Anlage Würde, Erhabenheit, Eleganz und gebietet quasi durch sich selbst ehrfürchtige Ruhe. Karten bezeichnen den Platz schlicht als Piazza del Duomo, genannt wird er Campo dei Miracoli und in der Tat scheint bei der hier zu erblickenden Harmonie nicht alles von Menschenhand zu sein. Er kündet von 200 jähriger Blüte Pisas als mittelalterliche Hafenstadt. 1063 Sieg über Sarazenen; Reichtum durch Orienthandel; ungebremste Macht als Seerepublik, Herrschaft über das westliche Mittelmeer; Konkurrenz Ende das 12. Jhdts. von Florenz, Lucca, Genua; Niederlage der Flotte gegen Genua 1284; vorbei war’s mit der Herrlichkeit. 1406 endgültig von Florenz eingenommen. Heute liegt Pisa zehn km von der Küste entfernt. Aus feinstem Carrara-Marmor ist das da alles. Der Schiefe Turm wurde 1173 begonnen, allerdings auf weichem Schwemmland. Fing dann auch schnell an zu kippen, ab dem dritten Stockwerk um genau zu sein. Seitdem: Kampf gegen weiteres Kippen und gegen Einsturzgefahr. Scheint seit 1999 gestoppt: nach wie vor 57 m Höhe, immer noch freistehend und ca. 4,5 m Überstand.

Ich schlendere durch dieses einzigartige Areal und natürlich gehört auch eine Turmbesteigung dazu. Gerade da aber wird es stürmisch. Die Würde des Platzes und des weißen Marmors relativiert sich ein wenig, wenn man auf dem Turm steht und von gerade mal hüfthohen Geländern runterschaut. Zudem weht heftiger böiger Wind und nicht ganz zu verachten: der deutlich merkbare und ungewohnte Schiefstand. Ich bin genügend beeindruckt und als auch noch die ersten Regentropfen fallen, trolle ich mich. Der Regen wird im Laufe der Zeit immer heftiger, bis hin zu wahren Sturzbächen. Meinen Stadtrundgang bis hin zum Arno kann ich daher auch nicht so richtig einordnen: einerseits wird er klar überstrahlt vom Eindruck des Ensembles, den ich übrigens sehr gern mit mir rumtrage, andererseits nervt der Regen doch mehr und mehr, so dass der Blick auf die zweifelsohne nicht hässliche Altstadt mit „nicht ganz ungetrübt“ wohl noch nie wahrheitsgetreuer umschrieben war. Irgendwie bin ich aber auch selber schuld. Jeder normale Tourist hätte den Stadtrundgang abgekürzt, hätte sich in sein Auto gesetzt, wäre leicht enttäuscht über das gar nicht so tolle Urlaubswetter zurückgefahren und hätte sich bei der Unterkunft nen Chianti genommen und so dem Tag noch einen goldig-roten Abschluss verliehen. Ich hingegen habe mir vorher ein Ticket besorgt für das oben angedeutete Spiel und muss sehen, wie ich jetzt noch einiges an Zeit totschlagen kann. Einfach so in eine Bar setzen wäre gut, andererseits: was soll ich in einer italienischen Bar ohne Vino? Also, nicht dass es da keinen Vino gäbe, aber ich muss ja noch fahren. Das Leben stellt einen manchmal vor die kompliziertesten Fragen.

Irgendwann ist die Zeit überbrückt und der Anpfiff des Derbys Pisa Calcio vs. US Grosseto naht und was soll ich sagen, die etwas teureren Tribünenkarten, die ich mir mehr aus Zufall denn aus Absicht geholt habe, sind genau richtig, denn – der aufmerksame Leser ahnt es bereits – es regnet immer noch heftig. So erlebe ich das zerhackte 0:0-Spiel wenigstens überdacht. Im Gegensatz zu Livorno zeigt sich, dass nicht alles im Mutterland der Ultra-Bewegung gleich golden ist. Der Support ist mäßig, passt sich dem Dauerregen und dem Spiel an. Die Arena Garibaldi ist auch kein Aufreger, ist bis auf die Tribüne unüberdacht. Gegengerade wäre sicherlich interessant gewesen mit dem Blick auf die Tribüne und den dicht dahinter liegenden Turm. Giuseppe Garibaldi (1807-1882) ist einer der populärsten italienischen Protagonisten der italienischen Einigungsbewegung zwischen 1820 und 1870. Garibaldis charismatische Massenwirkung sowie seine Feldzüge sind bedeutend für die italienische Vereinigung.

22.03.2008: Für das Tagesprogramm nicht ganz unbedeutend, scheint sich heute bei kaltem Wind und bescheidenen Temperaturen zwar, die Sonne zu halten. So eröffnet sich mir der Tag, an dem ich das Auto bis Empoli steure und von dort mit dem Vorortzug weiter bis Florenz fahre. Die Idee mit dem Vorortzug ist eine der besseren. Minimale Parkgebühren, der Zug braucht keine halbe Stunde, um im Zentrum von Florenz seine Reisenden auszuspucken, das Zentrum ist kompakt und somit ist alles locker fußläufig zu erreichen.

Als erstes die Kirche Santa Maria Novella. Auf dem Weg zum Dom bleibt sie bei etwas im Schatten der Aufmerksamkeit. Dafür kann sich der Dom nicht davor retten. Massig Leute, die hier rumlaufen und Einlass begehren. Ich beschließe, mich weder beim Bapisterium noch beim Dom einzureihen, einfach zu voll und zu nervig; lieber so viel Florenz mitnehmen wie nur irgend möglich. Also treibt es mich über das Nationalmuseum Bargello – früher dem Polizeipräsidenten vorbehalten, mittlerweile diversen Skulpturen – gen Piazza della Signorina. Warum mich dieser mehr anrührt als die Piazza del Duomo, kann ich nur schwer beantworten. Oder vielleicht doch? Es ist nicht so eng und damit ist diese Hektik, die alle offensichtlich anzufallen scheint bei Anblick des Domes, hinfällig. Platz und Palazzo Vecchio stehen erhaben über der ganzen Hektik, die zu ihren Füßen abläuft, zu Füßen des Domes ist nicht so viel Platz. Die Uffizien kann ich ja eh erst mal außen vor lassen, die sind für den nächsten Tag geplant.

Ein Blick auf den Ponte Vecchio und den Arno und dann zieht’s mich zum Stadion. Dauerregen beim Fußball hatte ich gestern Abend, heute ist es, abgesehen vom kalten Wind, hübsch sonnig. Das unterstreicht natürlich den positiven Gesamteindruck des Artemio Franchi. Der hat mal keine politische Bedeutung, Franch war italienischer Fußballfunktionär, 1973-1983 UEFA-Präsident und langjähriger Präsident von Fiorentina. 1991 wurde das Stadion nach ihm benannt.

Haupttribüne ist überdacht, Gegengerade ist durch ein schwer identifizierbares Bauteil markiert. Verglaste Vorderseite, ne Antenne drauf, ne kleine Plattform. Vielleicht nur Kunst am Bau, wie es die Hompage des Vereins nahe legt? Oder konnte/sollte sich der Duce dort bei irgendwelchen Anlässen präsentieren können? Würde zumindest in die Zeit passen, denn das Stadion ist 1931 eingeweiht. Einen feinen Blick auf das hügelige Umland mit der einen oder anderen Medici-Villla hat man über die Tribünen und Kurven hinweg. Das Stadion ist also nicht nur groß und schlicht und alt und interessant, sondern auch noch schön gelegen. Und dann auch noch die Sonne und eine volle Fiorentina-Kurve, die laut und melodisch daherkommt und ein gut gefüllter Lazio-Gästeblock, der sich sowohl gut am Support als auch gut an den Fiorentini abarbeitet. Was rein sportlich nichts zählbares einbringt; zunächst gibt es Gelb-Rot für Lazio und später auch noch das 1:0 für die Fiorentina. Und damit den Endstand, der verdient ist.

Zurück im Zentrum ist das Ziel Santa Croce mit Grabstätten von Michelangelo und Dante. Gefällt mir ausnehmend gut, v.a. hat man auf der großen Piazza Santa Croce viel Ruhe. Also gibt’s das auch hier: abseits der vom Reiseführer angepriesenen Hauptplätze findet sich auch in der größten touristischen Metropole meist ein Ort der Ruhe; der Möglichkeit, sich selbst der Hektik zu entziehen. Hübsch ist zudem nicht nur die Kirche, die in den warmen Farben gehaltenen Häuser rund um den Platz wissen ebenfalls zu überzeugen. Mindestens einmal im Jahr wird man die Ruhe vergeblich suchen: im Juni beim Calcio Storico, einem entfernten Vorläufer des Fußballs.

Die Brauntöne setzen sich fort und wirken später, am Ponte Vecchio, noch intensiver. Wahrscheinlich das Zusammenspiel von sich veränderndem Licht im Zeichen der langsam untergehenden Sonne und subjektiv romantisierendem Blick auf die altehrwürdige Brücke über den Arno. Heutzutage schlendern Tausende Touristen über die Brücke und werfen hin und wieder einen Blick auf die Auslagen der Juwelierläden, die sich ab 1593 dort angesiedelt haben. Früher dürfte das so gar nichts Romantisch-Verkitschtes gehabt haben, als noch das Quieken der Schweine kurz vorm Schlachten oder der herbe Duft von Stoffen, gegerbt mit Pferdepisse, die Szenerie bestimmt hat.

Abends in Lampreggio, im Restaurant am wärmenden Kamin, sehe ich einen weiteren positiven Aspekt der Unterkunft. Wenn auch sehr rustikal und spartanisch, ist sie im Preis unschlagbar, was durch das Restaurant unterstrichen wird: Antipasto, Primo Piatto, Secondo Piatto, Chianti, Wasser für 20 €. Unschlagbar!

Am nächsten Tag geht’s erneut nach Florenz. Glücklichweise habe ich schon bei den Reisevorbereitungen eine Karte für die Uffizien geordert. Die Reihe der Wartenden gibt mir Recht. So kann ich die Zeit, die ich mitgebracht habe, intensiv nutzen für Botticelli, Dürer, da Vinci, Michelangelo und wie sie alle heißen. Über allem stehen die Medici, die Dynastie, über die es tonnenweise Akten und Bücher gibt. Irgendwie ja auch klar, von vom 14.-18. Jhdt. nahmen sie unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung der Stadt Florenz und darüber hinaus. Mit anderen Worten: ohne die Medici wäre Florenz nicht das Florenz, welches man heute sieht. Den beginnenden Aufschwung verdankt die Stadt dem Textilhandel und den erstarkenden Fiorentiner Banken. 1406 die oben erwähnte Ablösung Pisas als Machtzentrum und im Folgenden Entwicklung zu DEM Machtzentrum der Republik. Ab 1434 Verquickung von finanzieller, kultureller und politischer Einflussnahme auf die Republik durch die Medici. Bankgeschäfte schafften Abhängigkeiten; Kunstsammlungen brachten und erhielten Arbeitsplätze und Wählerstimmen und halfen den Ruhm dauerhaft zu mehren. So die Kurzform Mäzenatentums der Medici. Gleichwohl steckt darin auch eine tief empfundene Religiosität. Neben den Kunstsammlungen zeugen davon Neubauten von Kirchen, Ausschmückungen von Sakralbauten, Almosen, Stiftungen.

Ohne die Medici gäbe es die Uffizien also nicht und damit eine Kunstsammlung von Weltruhm weniger. Und ohne Zweifel ein sehr lohnender Rundgang, für den ich aber auch locker drei Stunden brauche ohne alles gesehen zu haben. Der Blick zwischendurch aus dem Fenster lässt mich allerdings auch nicht auf die Idee kommen, hier durchzuhetzen, im Gegenteil, Florenz wird von enervierenden Dauerregen heimgesucht. Einen Blick vom Piazzale Michelangelo hebe ich mir daher für einen der nächsten Tage auf.

Nach dem touristischen Massenandrang gestern erwarte ich am heutigen Ostersonntag am Dom noch weniger Durchkommen. Doch weit gefehlt; keine Schlange, die Einlass begehrt und auch keiner, der Eintritt verlangt. Und so schaue ich mir den Dom doch noch an, ebenso wie in Pisa einigermaßen erstaunt über das sehr schlichte Innere. Hatte ich jeweils anders erwartet. Positiv überrascht nehme ich mir die Zeit und Ruhe, um den Dom nochmals zu umrunden und ihn mit einem positiven Gefühl zu verlassen, was mir gestern nicht so recht gelingen wollte angesichts der Massen.

Als ich mir am nächsten Tag den ersten Kaffee munden lasse, bin ich hinsichtlich des Wetters noch skeptisch, der Blick aus dem Fenster zeigt bedeckten Himmel mit leichtem Tröpfeln. Mit jedem weiteren Schluck aber scheint es ein wenig klarer zu werden in den Olivenhainen um mich herum und vor allem am Himmel; Sonnenschein in der zu erwartenden Form sehe ich indes immer noch nicht. Bei bedecktem Himmel setze ich mich also in mein Auto und fahre zunächst über Impruneta, Greve, Castellina ins Chianti-Gebirge. Ich habe mir da eine Strecke durch diesen hübschen kleinen Gebirgszug ausgesucht, der mich über Nebenstrecken ins Val d’Orcia bringen soll, natürlich in der Hoffnung, dass mir der Sonnenschein ein positiver Begleiter sein wird. Und es wird langsam; bei der Tour durch den Gebirgszug habe ich noch selten Sonnenfelder, was aber hier wiederum passt: erdig, schwer, tiefer Boden, ideal für einen guten Chianti sind die Attribute, die mir spontan einfallen. Schön trotzdem, aber mir wird klar, dass die Toskana nicht nur sonnendurchflutete Kulturlandschaft sein kann, sondern auch kargen, tiefen Boden hat.

Allerdings ist die Erde in der Gegend um Siena ebenfalls tief und karg und lehmig, bei dem vorher niedergegangenem Regen dazu prädestiniert, die Schuhe komplett zu ruinieren, was mit dem getragenen Paar auch restlos gelungen ist. Da sie eh im Spätherbst ihres Lebens standen, ist der Verlust jetzt nicht so groß. Davon ab ist es einfach einzigartig schön im Crete Senesi und im Val d’Orcia. Was zählt vor diesem Hintergrund schon der banale materielle Wert von einem Paar Schuhen.

Reiseführer, Werbebilder oder Filmsequenzen aus der Toskana kommen ja immer mit den Zypressenhainen daher, so dass auch schnell mal der Eindruck entstehen kann, dass diese Bilder gestellt, geschönt und nachkoloriert seien. Aber es sieht hier wirklich so aus, zumindest bei Sonnenschein. Schwer beeindruckende Hügel, sanfte Wellen, sattes Grün, idealtypische und abwechslungsreiche Zypressenhaine und als konsequente Abrundung dieser romantisch-verklärten Harmonie Sonne satt. Das ist das Val d’Orcia.

Auch am nächsten Tag Sonne und auch am nächsten Tag streife ich die Gegend, an der ich mich schwer satt sehen kann. Schwerpunkt und Krönung des Tages indes ist Siena. Der prächtige Duomo, noch mehr der Torre del Mangia an der großartigen, gleichsam magnetischen Piazza del Campo künden von Zeiten, als die stolze Stadt noch die große Rivalin von Florenz war.

Der Kampf scheint entschieden; zumindest auf der Machtebene haben die Medici, die zeitweilig die Papstbankiers waren, Florenz nach vorn gebracht. Das Kunst- und Museumszentrum findet man ebenfalls in Florenz. Aber Siena gilt zurecht als die schönere Stadt. Florenz hat mehr Weite, mehr Renaissance; Siena ist stehen gebliebene Zeit, gelebtes lebhaftes Mittelalter mit dezenten modernen Elementen, von einer Schönheit, die nicht von dieser Welt ist. Das Schlendern durch die vielen mittelalterlich-verwinkelten Gassen enthebt mich komplett der Zeit und lässt Alles in den Hintergrund treten.

Nur manchmal, wenn ich durch Zufall die große Hauptstraße zwischen Piazza und Dom kreuze, fällt mir auf, dass Siena nicht nur für mich interessant ist und ich dementsprechend nicht allein bin in der Stadt. Auch von oben ist diese Gassenstruktur hochspannend, wovon ich mich bei dem intensiven Aufstieg auf den Torre überzeugen kann.

Im Gegensatz zu Pisa und Florenz ist das Innere des Doms von Siena groß, erhaben, schön und mit deutlichen maurischen Einflüssen. Mich weiß er auf jeden Fall zu begeistern. Es ist hier einfach märchenhaft und fast unglaublich schön. Bilder belegen das besser als Worte. Ich glaube nicht, dass ich das letzte Mal hier gewesen bin.

26.03.2008: heute kommt der Piazzale Michelangelo wieder ins Spiel, ich will Florenz aus der Vogel- oder Panoramaperspektive sehen. Danach steuere ich mit viel Zeit nach Rimini, weil diese interessanter zu sein scheint als die Autobahn. Wenig spektakulär ist die 67, zwar geht es auf und ab, aber erstens habe ich schon die eine oder andere Gebirgsfahrt hinter mir, weswegen diese nicht sonderlich zu beeindrucken weiß und zweitens ist an den meisten Ecken die Natur noch nicht so weit, so dass auch hier der nachhaltige Eindruck ausbleibt. Wenigstens habe ich an drei, vier Stellen Einblicke in die Gebirgsformation des Apennin. Gleich nach dem Einchecken in Rimini geht es weiter in das nur fünfzehn Kilometer entfernte San Marino. Hochspannend finde ich, wie sich dieser Staat den Berg hoch windet. Kann ich dann von der Festung aus noch mal bewundern, nur in umgekehrter Abfolge diesmal quasi. San Marino selbst: ein paar Gassen, sehr gepflegt und die Festung La Guaita. Schön wäre zu viel gesagt, uninteressant wäre unfair, richtig spannend trifft’s auch nicht, Durchschnitt wäre nicht zutreffend, langweilig-versnobt würde nur Klischees wiedergeben; wie also beschreiben? Vielleicht so stehen lassen mit dem Versuch, damit die Kombination aus Monte Titano, der Ansammlung von neun am Berg klebenden Gemeinden und dem hochspannenden Blick von der Festung aus hinreichend beschrieben zu haben.

Danach steht Fußball an: im Stadio Olimpico Serravalle spielt die U 21 von San Marino gegen die U 21 von Serbien in der EM-Qualifikation. Der Ordner ist ob meiner Anwesenheit schwer irritiert, noch schwerer allerdings von meiner Frage, was denn hier an Eintritt zu berappen wäre. Eintritt ist frei, der einzige Nichtoffizielle scheine ich zu sein, was dann die Irritationen erklärt. Ansonsten sehe ich hier wirklich nur Teambetreuer oder Journalisten. Und Polizei, die sich kurz vorm Einlaufen der Mannschaften doch wirklich mit ihren Plexiglasschildern aufbauen. Hochgradig paranoid würde ich mal sagen. Allerdings fällt Ihnen das auch sofort auf, woraufhin sie sich fortan ziemlich erfolgreich unsichtbar zu machen versuchen.

Später, als ich in der Pause nen Rundgang mache und mitten in der Haupttribüne im Olympiamuseum lande, erkennt mich der Ordner wieder und winkt mich zu den für die Journalisten gereichten Schnittchen. Lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen. Großartig unerwartet und unerwartet großartig. Das Spiel ist nicht großartig, was indes aber zu erwarten war: Serbien muss sich zwei oder drei mal in der Abwehr konzentrieren. Das Spiel ist aber klar die ganze Zeit im Griff: nach Halbzeitstand von 3:0 gewinnt Serbien locker mit 5:0.

Am nächsten Tag bin ich im Hotel in Rimini beim Frühstück der Einzige, wahrscheinlich war ich im Hotel der einzige Gast. Deutlich vor der Saison war ich da, was aber ganz gut war, denn Rimini selbst geht gar nicht; morgens kurzer Spaziergang zur Adria; kurzer Blick zurück auf eine hässliche Hotelsilhouette und schon hatte ich denn auch genug. Leider scheint Rimini nur aus solchen Hotelbunkern zu bestehen. Zurück zum Flughafen Pisa nehme ich die mautpflichtige Strecke mit Umweg über Bologna zum Flughafen, weil sicher eben sicher ist. Der Spaß kostet mit guten 12 Euro nicht die Welt, also nehme ich das gelassen hin und bin rechtzeitig am Flughafen.

Die Toskana ist überwätigend-faszinierend. Pisa hat einen herausragenden Star: das Ensemble aus Dom, Bapisterium, Schiefem Turm und Camposanto; Florenz hat einige Stars; Siena braucht keinen herausragenden Star, Siena ist der Star; aber es gibt auch viele kleinere Städtchen und vor allem, diese atemberaubende Landschaftt. Vieles wirkt so anders, so verklärt, so entrückt, so unfassbar schön; gleichzeitig auch so zart, so erfrischend und in der Harmonie überwältigend, so dass mir nicht nur einmal „nicht von dieser Welt“ in den Sinn kommt. Eine ungemein schöne, spannende, abwechslungsreiche, historische, inspirierende und entspannende Region.

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