ISRAEL – Februar : 1995

Jerusalem 2

Studenten haben ja bekanntlich immer wenig Geld und sind daher immer sehr empfänglich für Urlaubseinladungen:-). So ließ mich die elterliche Einladung nach Israel im Winter 1995 auch nicht lange zögern.

Erwartungsgemäß werde ich so schnell ja nicht wieder nach Israel kommen. Bis jetzt war die Vorstellung von Israel so fern, dass es nicht mal ein Traum war.

Dafür war der Flug mit der Boing 747, zu der Zeit der größte Jumbo der Welt, obwohl es das Wort in diesem Zusammenhang noch gar nicht gab. Seit meinem irgendwann geweckten Interessen für die Flugzeuge dieser Welt war die 747 mit dem kleinen Buckel immer ein Traum. Am ersten Tag des Urlaubs sollte dieser in Erfüllung gehen. Vier Stunden später landen wir auf dem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv.

Tiberias ist die erste Übernachtungsadresse auf der Reise am See Genzareth. Von hier aus lassen sich Nazareth, Kapernaum, Tel Meggido, Tabgha bestens ansteuern. Schon hier wird deutlich, dass uns ständig Geschichte, Religion und Mythos über den Weg laufen werden und in dieser Kombination ein hochspannendes und sich gegenseitig ergänzendes Gemisch ergeben. Zunächst ist es hier die Jüdische Geschichte und damit die Geschichte von Jesus mit allen Geschichten und Geschichtchen und Mythen und dem Bibelkontext. Recht schnell ergänzen sich aber in unterschiedlichen Intensitäten die anderen Weltreligionen, was spätestens in Jerusalem ein, auch mit Reiseführer kommentiertes, unentwirrbares Gemisch ergibt.

Die Brisanz dieses Nebeneinanders von den drei Weltreligionen (Juden, Christen und Muslime) ist immer wieder den Nachrichten zu entnehmen. Die hochspannende, fast magische Wirkung ist in diesem Urlaub allgegenwärtig. Bereits in Nazareth geht es los: die Verkündigungskirche ist nun ganz klar zu erkennen sehr neuen Datums, 1969 wurde sie von Christen eingeweiht. Christlicher Glaube überlagert hier also den jüdischen. Auch der hat an dieser Stelle existiert, nur ist die Synagoge nicht mehr existent.

Tel Meggido: sicher einer der archäologisch wichtigsten Ausgrabungshügel des Staates. Nachweisbar war hier die Stadt Meggido und sie war strategisch günstig gelegen zwischen Meer und Land. Ausgrabungen belegen Ruinen von 25 Städten in der Zeit von 4000 v. Chr. – 400 n. Chr. Ob hier die letzte Schlacht der Welt, das Armageddon, geschlagen wird? So nimmt es wohl das Neue Testament an, die Zeitfrage scheint zu meiner Beruhigung allerdings immer noch nicht ganz geklärt.

Kapernaum ist eine weitere Station am See Genezareth mit antiken Ausgrabungen. Selbstverständlich hat Jesus auch hier seine Spuren hinterlassen, ebenso wie am Berg der Seligpreisungen. Die Kirche indes ist 1937 dort errichtet worden und da war die Bergpredigt schon ein paar Tage vorüber. Man könnte die ganze Zeit mit einer Bibel auf dem Schoß alles nachlesen, nur würde man dann nichts von Landschaft und Architektur sehen. Ich verlasse mich also auf die Extrakte von unserem Reiseführer.

Zwischen den ganzen alten und ausgegrabenen Steinen steht auch ein Besuch im Kibbutz. Weine und Liköre gibt es zu verkosten; ein großartiger Genuss nebst einer Prise Ideologiegeschichte, denn den Kibbuzim ist der sozialistische Gedanke nach kollektiv gelebter Basisdemokratie unterlegt.

Die nächste große Ausgrabungsstätte Beith-She’an liegt auf dem Weg nach Jerusalem und markiert gewissermaßen den Auftakt zum zweiten Teil der Reise. Aus der Vogelperspektive sieht dieses Riesenareal einfach nur aus wie ein Haufen mehr oder weniger geordnet nebeneinanderliegender Steine. Von Nahem zeigt sich dann aber, was hier alles schon ausgegraben, identifiziert und zugeordnet werden konnte. Es sollen die Reste von 20 Schichten menschlicher Besiedlung sein, die bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen.

Durch das im v.a. im Februar blühende Jordantal geht es weiter nach Jericho (mit ca. 10.000 Jahren die älteste Stadt der Welt). Nach Aufenthalt in dieser Oase geht’s weiter durch die trockene Wüste Judäa. Besiedelt ist sie nur von Beduinen. Es gibt Versuche des Staates Israel, diese sesshaft zu machen. Ob das jetzt einen großen politischen Hintergrund hat, weiß ich nicht mehr, vielleicht hat das unser Reiseführer auch nur erzählt, um während der Wüstenfahrt irgendwas erzählen zu können.

Damit beginnt der zweite Teil der Tour; ohne Zweifel der Höhepunkt. Wir sind im Shalom Jerusalem Hotel untergebracht. Ab jetzt gibt es 3000 Jahre Geschichte Jerusalems im Zeitraffer. Jesus-Geschichte mit Ölberg, Grabkammer, Goldenem Tor, Via Dolorosa, Betlehem. Jüdische Geschichte mit Klagemauer. Geschichte des jüdisch-muslimischen Konfliktes im Herzen Jerusalems auf dem Tempelberg. Zuviel für die schlichte einfache Erwähnung. Das Damaskustor ist eines der acht Tore der Altstadt. Es markiert den Anfang des arabischen Viertels und den Beginn des Leidenwegs Christi, der durch das arabische und christliche Viertel zur Grabeskirche führt. Schon an einem normalen Wochentag herrscht hier ein gnadenloses Gedränge; wie mag das wohl an einem Freitag sein.

Weitaus mehr Bedeutung kommt dem Goldenen Tor zu. Noch ist es versiegelt. Unter Süleyman dem prächtigen (Türken) wurde dies versiegelt, vlt. um in seinen Augen Ungläubigen den direkten Zugang zum Tempelberg über das Tor zu verwehren? Aber auch die jüdische Überlieferung spiegelt sich in der Entscheidung: die besagt, dass so die Türken so die Ankunft des Messias am Ende aller Tage verhindern wollten. Genau so ein versiegeltes Tor wird den Messias dereinst sicher aufhalten, wir dürfen gespannt sein! Gleichwohl wurden meines Wissens nach Süleymans Ableben keine Anstalten unternommen, das Tor zu öffnen, immerhin wären mehr als 500 Jahre Zeit dazu gewesen. Also wird es wohl auch weiterhin versiegelt bleiben. Es wartet wie wir alle auf die Ankunft des Heilands und auf die Erlösung. Nun denn, wir üben uns weiterhin in Geduld.

Als nächstes wird der Ölberg erklommen. Seine Bedeutung ist mir schon klar: hier wurde Jesus gefangengenommen und weinte um Jerusalem. Er schlief noch unter einem Ölbaum hier im Garten Gethsemane und betete in der Kirche der Nationen. Irgendwo lese ich, dass der Ölberg der überlieferte Ort seiner Auferstehung ist. Also auch noch seine Auferstehung hier am Ölberg. Und dann wird er nach seiner Rückkehr hier das Jüngste Gericht abhalten. Genau deswegen sind hier ungezählte Gräber frommer Juden. Meine Fresse, vor der Reise dachte ich ungetaufter, ungläubiger Wurm in keinster Weise an diese Verquickung. Es gibt hier, und das macht aber auch wieder die Faszination von Jerusalem/Israel aus, kein Entrinnen vor der Bibel. Immer ist irgendwas mit der Geschichte von Jesus oder dem jüdischen Volk verbunden. Meist ist es nicht einfach von historischer Bedeutung, sondern immer auch symbolisch überhöht.

Also ich muss schon sagen, das ist schon ein ziemliches Brett, was wir hier bohren; weil es so anders, neu, in Spuren auch exotisch ist, merken wir gar nicht, dass der Urlaub zwar Urlaub ist, aber mit Urlaub auch nicht so rasend viel zu tun hat. Entspannung is anders, vielleicht ist das hier die Blaupause für Bildungsurlaub. Es stehen noch ein paar Stationen vor uns. Der Leidensweg Christi ist eine logische Fortsetzung der Stunden hier oben auf dem Ölberg. Wir haben uns den Luxus gegönnt, die Via Dolorosa, also DEN Leidensweg einfach nur wie Touristen abzulaufen, also ohne Kreuz auf dem Buckel. Freitags wird es auf diesem Weg schon mal noch was enger, weil dann Gruppen aus aller Herren Länder unterwegs sind und Einige das auch ein wenig ernster nehmen, so mit Kreuz und so. Karfreitag will man dann hier nur mit Kreuz auf dem Rücken unterwegs sein, alles andere macht null Sinn. Theoretisch zumindest; ich will hier an einem Karfreitag bestimmt nicht unterwegs sein, einen volleren Ort zu dieser Zeit auf dieser Welt kann ich mir nicht vorstellen.

Die entscheidende Frage kommt zum Ende: die Grablege Christi. Die Grabeskirche ist für die Christen der heiligste Ort schlechthin; hier sollen sich Kreuzigung, Grablege und Wiederauferstehung (das wäre dann nach dem Ölberg die zweite) vollzogen haben. Dementsprechend überlaufen ist es hier auch. Aber es gibt noch ein paar britische Christen, die der Meinung sind, dass Jesus im sog. Gartengrab wiederauferstanden ist (und gleich die dritte Auferstehung hinterher). Wem soll man also in dieser heiklen Geschichte glauben? Belege lassen sich angeblich für alle Orte finden oder zumindest so interpretieren, der Rest ist dann v.a. eine Frage von Glaube, Überlieferung und Mythos.

Um die Geburtsstätte hingegen gibt es keine Diskussionen. Die ist gute zehn Kilometer von Jerusalem entfernt in Betlehem.

Und selbstverständlich muss ein Jerusalem-Besuch in meinen Augen auch die aktuelle Geschichte betrachten. Wenn also Jesus diese Stadt geprägt hat wie kein anderer, dann hat die Vernichtung von sechs Millionen Juden dieses Land geprägt wie nichts anderes. Bedrückendes Zeugnis dessen ist die zentrale Gedenkstätte Yad Vashem mit der Allee der Gerechten. Hier steht für Jeden, der sich um das Jüdische Leben während der NS-Herrschaft verdient gemacht hat, ein Bäumchen. Ein versöhnlicher Einstieg in einen Museums- und Gedenkkomplex, der zuweilen schlicht und trocken dokumentiert, was bedrückend genug ist; aber eben auch das Erinnern und Gedenken hochhält und angemessen inszeniert. Harte Fakten, zur angemessenen Erinnerung aufgearbeitet, oder einfach nur so präsentiert, dass die Masse der Ermordeten einen Namen, einen Erinnerungsort bekommen kann, stellen höchste Herausforderungen dar. Sowohl für den Gestalter als auch den Besucher. Diese Spannung meine ich hier die ganze Zeit des Besuches geradezu greifen zu können.

Demgegenüber könnte die Klagemauer (eigentlich als Westmauer nur ein schlichter Überrest des zweiten Tempels) eine willkommene Rückkehr in den Spannungsbogen Jerusalem heute und traditionell darstellen, was schwierig wird, denn in meinen Augen steht sie v.a. nur für das traditionelle Jerusalem. Sechs ewige Lichter, die über dem gesamten Areal stehen, erinnern an jeweils eine Million ermordete Juden. Klar ist das Symbolik. Genau an diesem Platz treffen gedanklich, symbolisch und real alle Ideen, Visionen und Erinnerungen aufeinander: Jerusalem mag zwar eine moderne Stadt sein, nur ist es nicht zu sehen. Alles ist Tradition, jeder einzelne Stein, jede einzelne Geschichte. Die Klagemauer ist Tradition, hier sind die Juden in ihr Gebet vertieft und von Touristen abgelichtet.

Etwas weiter landen wir auf dem Tempelberg, der von allen Weltreligionen als spirituelles Zentrum angesehen wird. Im Zentrum, heute überbaut vom Felsendom hätte Abraham seinen Sohn Isaak geopfert, der erste und der zweite Tempel standen hier, daraus leiten die Juden den Anspruch ab. Heiliger Ort für die Christen ist er, weil Jesus hier predigte. Und der Islam sieht hier den Ort, von dem Mohammed gen Himmel fuhr. Hier sind wir dann für einen kurzen Moment beim heutigen Jerusalem, denn der Tempelberg ist logisch ein ewiger Zankapfel und immer wieder eingesetzt in der symbolischen Politik. Die El Aqsa Moschee macht schon was her, aber unweigerlich ist der strahlende und beeindruckende Felsendom im Mittelpunkt. Ein touristisches Highlight sondergleichen von unglaublicher Schönheit, aber eben nicht klar zwischen den Religionen aufzuteilen.

Es ist wie an vielen Stellen in diesem Land: kein Platz ist einfach nur so da, jeder Ort in diesem Land ist mit jahrhundertschwerer Bedeutung aufgeladen. Unmöglich, in diesem Land einfach nur Tourist zu sein. In keinem Land zuvor und bis jetzt auch nicht danach habe ich ein solch großes Spannungsfeld erlebt, eines, welches den Besucher so intensiv vereinnahmt.

Bei diesem Programm rückt der Fußball klar in den Hintergrund.

Der zerstörte zweite Tempel ist die Brücke zu einem weiteren Punkt der Reise. Der große Jüdische Krieg gegen die Römer begann, ausgelöst durch Unterdrückung, im Jahr 66 n. Chr. Erste Etappe des Endes war im Jahre 70 die Zerstörung des Tempels. 73 fiel dann Masada.

Einer der wichtigsten Punkte der jüdisch-israelischen Geschichte steht also noch aus. Unser Reiseführer ist ein Fuchs und bittet uns am entscheidenden Tag recht früh zur Abfahrt. Zu unserem Vorteil, den wir sind immer vor allen Interessenten an den Punkten. Zunächst geht es nach Masada. Ein Felsplateau mitten in der Wüste mit den Ruinen einer Festung. Schnell wird klar, dass Masada nicht nur archäologisch interessant sein könnte, sondern ebenfalls seinen bedeutungsschweren Platz in der jüdisch-israelischen Geschichte hat. 70 n.Chr. haben die vertriebenen Zeloten hier ihren letzten Zufluchtsort gefunden. Drei Jahre hielt der Widerstand. So lange brauchten die Römer, um eine Rampe zu bauen, die ihnen die Eroberung problemlos ermöglichte. Ungewollt erschufen die Römer mit dieser Eroberung ein Symbol für unbeugsamen heroischen Widerstand bis hin zum Massenselbstmord. Auch als veritabler Gründungsmythos des jüdischen Staates kann Masada herhalten.

Lange wurde Masada mit dem Staat Israel gleichgesetzt, zumindest in der jüdischen Tradition gesehen, steht es doch für Verfolgung, Belagerung, Tod. Letztlich auch für trotzigen Widerstand, vor allem deswegen ist Masada legendär. Die Erinnerung und Mahnung und lebt im Fahneneid Israelischer Soldaten fort und ist Verpflichtung auf den Staat: „Masada darf nie wieder fallen“. Nicht weniger beeindruckend, aber nicht so bedeutungsschwer sind die folgenden Teile: im Toten Meer können wir uns davon überzeugen, dass dieser extrem hohe Salzgehalt uns wirklich trägt. Einen weiteren Zwischenstop gibt es in der Oase En Gedi, gespeist vom David-Wasserfall. Bei diesem mussten wir allerdings zweimal hinschauen, um ihn auch zu sehen. Die Erwartung eines größeren Wasserfalls nach dem tschechoslowakischen Vorbild war deutlich überzogen. Als ob uns unser Reiseführer dramaturgisch geschickt wieder auf den biblischen Kontext Jerusalems einstimmen will steuern wir zum Abschluss Qumran an. In den Höhlen wurden 1947 jahrtausendealte Bibelschriften entdeckt.

Ein sensationeller Urlaub!

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