Auf den Spuren der Wikinger – HAITHABU und DANEWERK – Juni : 2020

Mit Otfried auf den Spuren der finsteren Wikinger, des finsteren Mittelalters und einem Kapitel norddeutscher geostrategischer Technikgeschichte.

Schon lange hatte ich vor, Otfried in Bad Oldesloe zu besuchen, immer passte irgendwas nicht, zuletzt kam Corona dazwischen. Immerhin, zum gemeinsamen Amon-Amarth-Konzert in Hamburg ganz in der Nähe passte es. Und die haben ja nun insbesondere mit „Berserker“ irgendwie auch was mit den Wikingern zu tun. Was für ein Spannungsbogen.

Zur Einstimmung am Freitagabend widmen wir uns dem importierten Wolters, die bestandene Prüfung und ohnehin erfolgreiche Weiterbildung sind Anlass genug. Unsere ersten gemeinsamen Biere seit Oktober sozusagen. Virtuelle Corona-Biere sind ganz lustig, zählen aber nicht wirklich.

Auf der Fahrt nach Haithabu, gute Stunde von Bad Oldesloe entfernt, hauen wir uns dann besagte „Berserker“ auf die Ohren, den Smasher „Shield Wall“ allen voran. Der Klangteppich, die Bilder, die Thematik – alles passt zusammen an diesem Samstag.

Die Wikinger begleiten mich ja schon eine ganze Weile, spätestens seit der überzeugenden Wikinger-Ausstellung 1992 im Alten Museum in Berlin. Letztes Jahr dann in Oslo mal wieder im Vikingskipshuset gewesen und nun endlich Haithabu. Bissel aufgeregt bin ich ja.

Das Museum lassen wir ersteinmal links liegen, zur Siedlung am Haddebyer Noor geht’s es als erstes. Die war mal deutlich größer, insbesondere die Landebrücke. Letztlich ist die Siedlung auch nur ein Ausschnitt und eine Rekonstruktion. Die geht aber auf mehr als 100 Jahre Erforschung des Platzes zurück, wir gehen also mal davon aus, dass das hier der Wikinger-Siedlung schon sehr gleicht, Forschung und Archäologie jedenfalls sind da recht klar, siehe Abbildung der Rekonstruktion.

Galloway-Rinder empfangen uns am ehemaligen Schutzwall um Haithabu.

Anschließend in das ausgezeichnete Wikinger Museum. Hier bleibt nix offen, äußerst gut dokumentiert und aufbereitet ist hier alles. Und wer denn doch noch Fragen hat, dem sei das Buch „Die Wikinger. Entdecker und Eroberer“ von Jörn Staecker und Matthias Toplak ans Herz gelegt, zu Weihnachten bekommen und seitdem quasi nicht mehr aus der Hand gelegt.

Es lohnt sich hier definitiv und es macht Spaß und es ist faszinierend. Eintauchen ins Mittelalter, Eintauchen in die Wikinger-Welt. Beides übrigens gar nicht so finster, wie oft genug dargestellt und angenommen, Zeit mit diesen Mythen mal aufzuräumen.

Das finstere Mittelalter ist eine Erfindung der Neuzeit, der Renaissance, wo eine Rückbesinnung auf die klassische Antike, auf die Griechen und Römer prägend war. Die Latein-Gelehrten des 16. und 17. Jhdt. sahen darin das Ideal einer Hochkultur, nach der es zu streben galt. Griechen und Römer als die Hochkultur, was danach kam war finster und schmutzig und mittelalterlich. Klar – und die auch heute noch bewunderten gotischen Kirchen sind gar nicht aus dem Mittelalter, sondern vom Himmel gefallen.

Und ganz so finster sind denn auch die Wikinger nicht. Sicherlich, es waren auch Raufbolde und raue Kerle und der Beginn der Wikingerzeit wird ausgerechnet an einem Überfall auf eine Kirche festgemacht (Lindisfarne 793). Also Spaß hatte definitiv nicht jeder mit ihnen. Dennoch, die Wikinger waren nicht nur unfassbar reise- und unternehmenslustig, sondern offenbar auch unfassbar neugierig und offen gegenüber anderen Kulturen. Handel allerorten, die Wikinger handelten bis in den Orient, bis an die Seidenstraße – und nahmen die Einflüsse auf und mit in den Norden, was sich gerade im Kunsthandwerk zeigt. Die Kiewer Rus geht auf die Wikinger zurück. Die Kiewer Rus – eine Handelskette zwischen Ostseeraum, Schwarzem Meer und Bosporus – eine gewaltige Ausdehnung und in gewisser Weise Vorläufer von Russland, der Ukraine und Belarus.

Und dass die Wikinger weit vor Kolumbus in Amerika waren, ist glaube ich weitestgehend bekannt. Ich sag mal so: ohne begnadete Navigations- und Bootsbaukünste geht das nicht, einen tumben Raufbold sähe ich da nicht so ganz vorn.

Ohnehin die Boote. Die Schalenbauweise mit überlappenden Eichenplanken ist neu, die flachen, um die 30 Meter langen Bootskörper sind neu. Dass die Drachenboote hochseetauglich waren, erstaunt mich immer wieder, dass sie aber leicht und damit leicht zu navigieren waren, sieht man ihnen sofort an. Einer der größten Vorteile aber sicherlich, dass sie die Flussläufe fix herauf- oder hinabmanövriert werden konnten, ob nun mit dem Segel oder mit dem Ruder. Zur Not – so die Überlieferungen – wurden die Boote auch mal fix durch die Gegend getragen bei unfahrbaren Flussläufen. Definitiv einer der großen strategischen Pfunde der Wikinger – so fix war zu der Zeit keiner.

Die Boote faszinieren Generationen, es gibt zahllose Quellen, hier Geolino, Ausstellungen haben sich den Booten gewidmet, hier der Link auf die Ausstellung in Rosenheim, das Vikingskipshuset steht für zwei der Boote.

Dass sie strategisch auch in anderem Zusammenhang nicht ganz unbedarft waren, zeigen die Lage von Haithabu und Danewerk. Haithabu ist eben nicht direkt an der Ostseeküste, wo es leicht zugänglich, aber auch leicht zu erobern wäre, sondern ins Hinterland versetzt an der Schlei. Zugang zur Ostsee und dennoch durch fünf Furten mehr als geschützt – gen Osten. Gen Westen kommen viel Land und das Danewerk als Schutz hinzu. Und dennoch war Haithabu über die Ostsee der Welt sehr sehr nahe, die archäologischen Funde im Museum zeigen es mit überwältigender Klarheit.

Das Danewerk ist dann auch die zweite Station unserer Wikinger-Tour. Ein Teil des Befestigungswalles ist der Halbkreis, der Haithabu vom Lande her schützte. Der weitaus größere Teil aber geht von Haithabu/Schleswig quer durchs nördliche Schleswig-Holstein und sollte zunächst die Nord-Süd-Route, den sog. Ochsen- oder Heerweg abriegeln. Zusätzlich soll er gen Süden vor den Sachsen und Franken schützen. Mit den Wikingern hat er auch nur partiell was zu tun, erste Wälle entstehen weit vor den Wikingern und auch weit nach den Wikingern ist die strategische Bedeutung nachgewiesen. So werden im Vorfeld des deutsch-dänischen Krieges 1864 Kanonenschanzen entlang des Walles errichtet. So breit ist es ja hier oben nicht, da wird die strategische Bedeutung von so einem Wall sofort offenbar.

Der Hauptwall indes – wie soll es auch anders sein – geht wesentlich auf die Wikinger zurück und ist am besten erhalten, mehr als 700 Jahre ist er die Hauptlinie des Danewerkes.

Auf der Rückfahrt nach Bad Oldesloe dann noch ein Abstecher zur Rendsburger Hochbrücke. Geostrategie Teil II sozusagen oder doppelte Technikgeschichte. Nord-Ostsee-Kanal trifft auf Eisenbahn. Eingeweiht wird der Kanal am 21. Juni 1895, er erblickt also im selben Jahr das Licht der Welt wie unser BTSV. Der Eiderkanal ist ein Vorläufer und geht teilweise im N-O-K auf. Klar, eine schnelle Verbindung zwischen Nordsee und Ostsee ist lukrativ, interessant und strategisch bedeutsam, nicht erst im 19. Jhdt. Und technikgeschichtlich sind die Planung und der Bau so eines Kanals schon interessant, doch deswegen sind wir ja nicht wirklich hier, das muss warten. Hier ist eine wirklich gute Dokumentation.

Zurück zur Brücke. Dieser Traum von einer Stahlkonstruktion überspannt seit 1913 als Eisenbahnbrücke den Nord-Ostsee-Kanal. Zusätzlich trägt sie eine Schwebefähre für den Fußgänger- und Fahrzeugverkehr, leider aktuell aufgrund eines Unfalls außer Betrieb.

Es müssen Hochbrücken sein, ansonsten macht ja der Kanal keinen Sinn, da müssen ja auch Schiffe entsprechender Größe durch und Drehbrücken machen keinen Sinn bei der Breite.

Letztlich wird der flexibelste und zu der Zeit modischste Werkstoff verwendet. Stahl. Kohle und Stahl haben ihre Symbiose gefunden Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts. Spätestens mit der veredelten Kohle –  dem Koks – und immer leistungsfähigeren Hochöfen kann Stahl in einer Qualität hergestellt werden, die die benötigte Stabilität garantiert. Bei gleichzeitiger Flexibilität, ja nicht ganz unwichtig bei den anstehenden Belastungen.

Die Brücke braucht Auffahrtrampen, die Züge müssen ja irgendwie auf die Höhe von 42 Metern kommen. Eine zu große Steigung schaffen die Züge nicht, schließlich soll hier keine Zahnradbahn entstehen. Also braucht es Platz, um die Auffahrtrampen zu platzieren. 51 Pfeiler werden es am Ende sein bei knapp acht Kilometern Gesamtlänge, die Brücke selber ist dabei nur 2486 m lang. Geniale Planung.

Auf einer Seite – zwischen Eider und Nord-Ostsee-Kanal – ist es allerdings nicht so üppig mit dem Platz. Daher muss die Rampe hier als Schleife ausgeführt werden, ein weiteres konstruktives Highlight. So entsteht dann auch gleich noch ein neuer Stadtteil, schlicht und zutreffend Schleife heißt er.

Sehr beeindruckend also auch hier. Die Strategie und Geographiegeschichte(n) von Haithabu und dem Danewerk finden hier irgendwie ihre Fortsetzungen und irgendwie ist es auch stringent und konsequent, denn auch hier geht es darum, den Handel zu befeuern. Zusätzlich aber ist hier ein faszinierendes Kapitel Technikgeschichte aufgeschlagen und wenn man so will, lässt sich der Bogen von den Wikingerbooten bis zur Brücke schon schlagen, konstruktionsgeschichtlich lässt sich aus beiden Kapiteln viel herauslesen.

Spannender und faszinierender Tag, wir würdigen ihn mit Wolters und – passend zum Wasser – Thunfischpizza.

Update vom 31.08./01.09.2021: Ich bin wieder in der Region unterwegs, diesmal auf der anderen Seite des Kanals. Dort ist ein nettes Restaurant, in dem sich schön am Kanal sitzen lässt bei Bier und Fischplatte. Bestens.

Und einen Tag später fahre ich ein Stück weiter zur alten Levensauer Hochbrücke. Leider schwer ranzukommen, da wird mächtig gebaut. Die alte Brücke ist in die Jahre gekommen und soll durch einen Neubau ersetzt werden, siehe z.B. hier.

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