Georgien 2015 war schon schwer faszinierend. Allerdings schafften Robin, SchAppi und ich es umständehalber nicht zum Fußball. Holen wir das eben zwei Jahre später nach.
Gute Erfahrungen mit Georgia Insight lassen uns auch diesmal auf spannende Ausflüge hoffen. Zudem betreiben David & Co. mittlerweile auch ein Hotel ganz in der Nähe der Rustaveli. Das Hotel Suliko ist nagelneu und legt uns Tbilisi zu Füßen. Die Ankunft wird abgerundet mit einem Absacker, bei dem auch Chacha nicht fehlen darf. Vergangenheitsbewältigung und so.
Am nächsten Tag geht es auf die Georgische Heerstraße. Die kann man sich auch ein zweites Mal ansehen, so abgefahren wie sie ist. David ist uns wieder kompetenter, aufgeschlossener und lustiger Guide, Levi zuverlässiger Fahrer. Die Heerstraße hat sich entwickelt, die Straßen sind in einem besseren Zustand als noch vor zwei Jahren. Da waren an verschiedenen Stellen Schlaglöcher dramatischen Ausmaßes. Von ihrer Dramatik hat die Heerstraße dadurch aber nichts eingebüßt. Gut so, denn genau deswegen sind wir ja hier. Dazu zählen auch die Tunnel, insbesondere im Terek-Tal. Höchst abgefahren, sehr lustig und nur mit einer gewissen Vorsicht zu befahren, denn für zwei Autos gleichzeitig ist in den Röhren kein Platz.
Wir starten an der Ananuri-Festung hoch oben über dem Schinwali-Stausee, der allerdings recht wenig Wasser hat. Gewünschte Dramatik kommt dann später, als wir langsam eintauchen in die massiven Gebirgsketten des Kaukasus. Serpentinen bei der ehemaligen Poststation Gudauri, viel Schnee, auch und vor allem am Kreuzpass bei 2.395 Metern.
Es ist eine gewaltige, eine faszinierende, eine berauschende Bergwelt um uns herum. Mittags erreichen wir Stepanzminda und stehen vor der Frage, ob uns der Weg hoch zur Wallfahrtskirche Zminda Sameba in 2.170 Metern reizt. Tut er irgendwie nicht und da auch der 5.057-Kasbek sein Haupt in Wolken hüllt, nehmen wir die naheliegenden Alternativen.
Die eine ist die wilde Darial-Schlucht, die sich auf 1.200 Metern Höhe tief und steil in die Gebirgszüge eingefräst hat. Die Berge drumherum sind bei ca. 2.000 Metern. Die nächste Alternative ist die Georgisch-Russische Grenze. Etwas herbere Straßen begleiten uns hier, allerdings sind wir auch im Bereich erhöhter Lawinen- und Steinschlaggefahr unterwegs. Erst kürzlich hat ein Steinschlag sechs Leute in den Tod gerissen. Geteerte Straßen sind sicherlich erstmal nicht Prio I.
Die strategische Lage und Bedeutung dieser Grenze wird auf einen Blick klar. Mitten in der engen Schlucht stehen die Grenzposten, im Falle eines Konflikts lässt sich die Grenze in kürzester Zeit abriegeln und mit recht wenig Aufwand halten. Ein probates Druckmittel und dementsprechend auch über die Jahrhunderte umkämpft. Aktuell ist es so, dass der Georgisch-Russische Konflikt von 2008 in dieser Region, aber auch in der Region, in der wir morgen unterwegs sein werden, in gewisser Weise seine Fortsetzung findet. Es geht immer noch um Einfluss im Kaukasus und es geht um besseren Zugang zum Schwarzen Meer. Georgien mag ein recht kleines Land sein, aber es liegt zwischen Kaspischem Meer, Schwarzem Meer und dem Kaukasus. Das weckt Interessen. Komplexe Situation.
Und noch eine Alternative hat David für uns: eine kleine hübsche Schlucht, die an einem kleinen eingefrorenen Wasserfall endet. Und so haben wir dann doch noch ein wenig Bewegung. Der Kasbek ist weiterhin nicht zu sehen, also geht es nach diesen großartigen Eindrücken wieder Richtung Tbilisi.
Wenn wir aber vorhin schon die Georgisch-Russische Grenze gesehen haben, ist es jetzt quasi Pflicht, an dem Denkmal der Russisch-Georgischen Freundschaft einen Stopp einzulegen. Schön ist sicherlich anders, aber es bietet ein Panorama, an dem man sich nur schwer sattsehen kann. Ein mehr als runder Tag oder um mit Anton Tschechow zu sprechen: „Ich habe die Georgische Heerstraße erlebt. Das ist keine Straße, sondern Poesie, eine wunderbare, phantastische Erzählung!“
Einen Tag später geht’s nach Mzcheta. Mzcheta ist die alte Hauptstadt, liegt an der Heerstraße, an der Seidenstraße und am Zusammenfluss des Aragvi und der Kura. Mehr Handels- und Verkehrsknoten geht nicht. Dass Mzcheta auch noch religiöses Zentrum war und ist, ist da ja schon fast zwangsläufig. Dementsprechend viele Touristen sind hier auch, die kurze Entfernung nach Tbilisi tut ihr Übriges. Dennoch, das Dschwari-Kloster mit einer der schönen georgischen Kreuzkuppelkirchen weiß zu gefallen, die Swetizchoweli-Kathedrale markiert auffällig das Zentrum und der Basar hält als Überraschung einen kleinen Laden mit Postkarten und einem Briefkasten bereit, beides nicht so einfach zu finden hier. Alles, was administrativ zu erledigen ist, wird in Georgien online erledigt, wozu also noch Briefe oder Karten schreiben? Und wozu brauch man dann noch die Post? Und wozu Briefkästen? Für den Touristen nicht ganz leicht, wenn er seine Karten an die Lieben daheim schicken will.
Nachmittags fahren wir zu Iagos Weinkeller und schauen, wie georgischer Wein hergestellt wird. Wahrscheinlich ist es die älteste Methode der Menschheit und auch die ursprünglichste: große Tonamphoren sind in den Boden eingegraben, in diese kommen die ganzen Trauben ohne weitere Behandlung. Die Amphoren sorgen dann bei der langsamen Verwandlung der Trauben in Wein nicht nur für gleichbleibende Temperatur, sondern auch für die Aufnahme von Mineralien und Aromastoffen aus dem Ton. Der Rotwein ist lecker, der Weißwein ging so und auch wenn unsere Tour ausdrücklich keine Chacha-Tour werden sollte – und es auch nicht geworden ist – hier gehört ein Chacha, ein 50%iger Trester-Wodka, einfach dazu.
Eine kleine Überraschung gibt es dann noch auf der Rückfahrt, stehen hier noch paar alte LKWs: ein ЗИЛ-Lkw, ein ГАЗ-Lkw und ein alter ПAЗ-Bus, später entdecke ich noch einen schicken ГАЗ-Pkw. Schöne Autos. Und das sagt mit mir einer, dem Autos eigentlich egal sind. Aber – und das zeigt, dass es mit Georgien wirtschaftlich vorangeht – diese alten Autos, 2015 noch so zahlreich bestaunt, werden weniger. Natürlich ist das gut und richtig so, denn es erhöht die Sicherheit auf den Straßen, aber ich darf das auch ein bissel schade finden. Zu einem TÜV hat sich Georgien auch 2017 noch nicht durchringen können, für zu viele hängt ein bescheidenes Einkommen davon ab. Ein Taxischein ist wohl nicht allzu schwer machbar und solange die Autos noch fahren …
Die zwei Seiten der Medaille.
Dennoch: Georgien entwickelt sich. Von besseren Straßen habe ich oben geschrieben. Verschiedene Straßenzüge in Tbilisi sind saniert oder werden es, verschiedene Bauprojekte werden das Bild weiter verändern. Sogar das alte Kaufhaus in der Rustaveli, das vor zwei Jahren noch so herzzerreißend vor sich hingammelte, wird umgebaut. Sicher, Georgien ist nicht über Nacht ein reiches Land geworden, es braucht halt Zeit. Sehr bald aber wird diese kleine, liebenswerte Perle im Kaukasus eine große, strahlende sein, die Zeichen sind unübersehbar. Und das ist gut so.
Abends soll dann endlich der Fußball nachgeholt werden, Georgien und Serbien spielen in der WM-Quali im Boris Paichadze vor 50.000 Zuschauern. Vergangenheitsbewältigung Teil II. Teil III folgt in der verhängnisvollen Bar um die Ecke des Stadions. Gleicher Tisch, ein Bier, kein Chacha, pünktlich im Stadion. Ein wenig überraschend geht Georgien in Führung, hat sogar das 2:0 auf den Füßen, die Stimmung ekstatisch-laut. Leider gelingt genau das Tor nicht und so kann Serbien das Spiel routiniert herunterspielen und 3:1 gewinnen. Sehr schade.
Tag 3 ist ganz Tbilisi vorbehalten. Vormittags freuen wir uns, dass David noch Lust hat, mit uns die Rustaveli entlang zu schlendern, uns den Freiheitsplatz zu zeigen, die Puschkin-Straße weiter zu schlendern und diverse Gassen und Plätze zu zeigen. Wir sind nun mittendrin in der Altstadt und auch hier sieht man Veränderungen, auch hier sieht man Neues entstehen. Ich wiederhole mich, aber ich wiederhole mich gern, mit David Georgien zu entdecken macht einfach Spaß. Nach einem Abschiedsbier setzt er uns in ein Taxi und los geht’s zum U-21-Testkick, den Robin irgendwo ausgegraben hat.
Island ist auf einer Testspieltour und kickt in diesem Zusammenhang nun das zweite Mal gegen Georgien. Gespielt wird im Mikheil Meskhi, dem 24.000er-Stadion von Lokomotiv. Die Wechsel auf beiden Seiten zählen wir irgendwann nicht mehr mit. Island führt in der 90. Minute 4:2. Sieben Minuten Nachspielzeit. Georgien schießt das Anschlusstor. Georgien gleicht aus. Und hat noch zwei glasklare Siegchancen. Beste Unterhaltung.
Abschließend wollen wir im Hotel nur noch unsere Koffer abholen und uns ins nächste Taxi setzen, doch die Rechnung haben wir ohne Georgia Insight gemacht. Levi, Fahrer unseres Tourbusses, erwartet uns, um uns zum Bahnhof zu fahren, ein feiner Zusatzservice. Danke!
Wie schon heut Mittag, als David uns ins Taxi setzt, umfasst mein Herz ein leichter melancholischer Abschiedszauber.
Der Transfer von Tbilisi nach Baku erfolgt mit der guten alten Eisenbahn über Nacht. Gehofft hatten wir auf ein eigenes Abteil, bekommen haben wir 3. Klasse in einem alten russischen Großraum-Liegewagen mit einem Haufen Hannos. Zum Glück gibt es Vierer-Separees, da lässt sich die räumliche Nähe zu denen ganz gut kompensieren. Warum aber muss uns die Georgische Eisenbahn ausgerechnet den Hanno-Linke mit in unser Separee buchen? Letztlich fliegen die Sprüche hin und her, viel mehr is nich und auf einer Länderspielreise ja auch okay.
Da ist der Grenzübertritt denn doch deutlich nerviger. Das Procedere dauert in Georgien schon ne knappe Stunde, auf aserbaidschanischer Seite kommt noch eine gute weitere hinzu. Und es kommt die Frage hinzu, warum – nach Bild im Reisepass und zwei abgegebenen Bildern für das Visum – nun auch noch ein Foto von uns geschossen werden muss. Hält natürlich zusätzlich auf und nervt. Man gut, dass wir den 17.30-Uhr-Zug genommen haben, da kommt man danach irgendwann wenigstens ein wenig zum Schlafen. Die aserbaidschanischen Zöllner vermitteln jetzt nicht gerade den Eindruck, als seien wir willkommen, irgendwie ein Verhalten, was mich an unseren Abflug aus Baku vor ein paar Jahren erinnert. Aber da war es der Abflug. Ich beginne nachzudenken, ob ich noch ein weiteres Mal nach Aserbaidschan will. Obwohl ich ja noch gar nicht da bin.
Wichtiger ist aber erst einmal das Schlafen. Gar nicht so leicht, gar nicht so angenehm. Wie gesagt, nur Pritsche im Großraumabteil, leidlich abgeteilt. Schlafen geht, Durchschlafen nicht, egal. Die Bilder aus dem Umfeld von Baku hingegen sind eigentlich nicht egal. Es ist schon klar, dass wir hier nicht in einem Hochglanzprospekt unterwegs sind. Und diesen auch nicht erwarten. Aber erwartet haben wir auch nicht so ein krasses Umland. Bretterverschläge, Blechverschläge, Müll. Aber hier leben offensichtlich Menschen. Und offensichtlich können nicht alle Menschen teilhaben an dem, was wir dann später bestätigt sehen: einer cleanen Stadt.
Das Areal ist trostlos. Hier leben? Bitte nicht. Umweltbewusstsein ist hier noch, die Getränkedosen, die Flaschen und den übrigen Müll im Zug einzusammeln und auf der Strecke aus dem Fenster zu feuern. Macht die omnipräsente Wagenbegleiterin mit bemerkenswerter Konsequenz, scheint hier also normal zu sein und so sieht es auch aus entlang der Bahnstrecke. Das Erdöl und vor allem die Erdölmilliarden werden gern mitgenommen, aber Konsequenzen für die Umwelt sind egal. Ein Land wird auf dem Erdöl errichtet, aber nur die Hauptstadt hat daran wirklich Anteil. Die Menschen im Umland mit Sicherheit nicht.
Mit diesen Eindrücken empfängt uns Baku. Baku will beeindrucken. Und Baku beeindruckt. Es ist viel passiert nach 2009, als wir zum ersten Mal hier waren und Baugerüste an allen Ecken und Enden gesehen haben. Die sind mittlerweile klaren sandgestrahlten Fassaden gewichen, die abends illuminiert werden. Und die ein glattes, modernes und sandfarben strahlendes Baku zeigen. Dazu kommen einige neue Bauprojekte, wie der Flames-Tower oder der Boulevard, der mittlerweile den größten Teil der Bucht umfasst. Beindruckend das alles. Allerdings ist mir das alles ein wenig zu glatt. Ich finde da wenig Authentisches, wenig Gewachsenes, viel Künstliches. Selbst die Altstadt mit dem Schirwanschah-Palast wurde ja an vielen Stellen gnadenlos auf Besucher gepimpt.
Andererseits: die Besucher kommen. Und sie bevölkern insbesondere die Altstadt. Den Jungfrauenturm, der immer noch einen schönen Blick auf die Stadt bietet, aber den Besucher nicht mehr ganz an die Brüstung lässt, womit eines der schönsten Blickerlebnisse auf und in die Altstadt dahin oder zumindest stark einschränkt ist. Den in Teilen rekonstruierten Palast, die Mauern mit Anklängen an das islamische Mittelalter. Die letztlich auch das Vorbild sind für die ganzen Prestigebauten der Stadt. Die Karawanserei. Bei der übrigens SchAppi und ich ein Erlebnis der besonderen Art haben. Auf der Suche nach ein wenig zu essen landen wir dort und ordern etwas, was sich dann als nicht allzu lecker herausstellt. So sitzen wir da gemeinsam in dem Innenhof, als plötzlich eine Reisegruppe Iraner den Hof flutet, alles – auch uns – hektisch fotografiert, um nach drei Minuten hektisch wieder abzuziehen. Der Innenhof ist wieder so ruhig, als sei nichts geschehen. Wahrscheinlich dachten sie, dass wir zum Arrangement gehören und fotografierten uns deswegen wie wild.
Danach noch an den Bulvar, der mittlerweile doppelt so lang ist und den größten Teil der Baku-Bucht umspannt. Die größte Fahne der Welt von der Größe eines Handballfeldes hat Gesellschaft bekommen, die Baku Crystal Hall steht da noch und das Baku Eye. Und es wird weiter gebaut. Ausdruck absoluter Machtpolitik.
Geblieben allerdings sind der Wind, der ein längeres Sitzen am Bulvar zu keinem ausgedehnten Vergnügen werden lässt und der latente Geruch nach Salzwasser und Seetang, untermalt von einer Prise Petroleum. Und die Frage, ob wir hier im Orient oder im Okzident sind. Der Bulvar mit seiner Beeindruckungs-Silhouette will Okzident sein, die Altstadt Orient. Aber das ist ja wohl genau der Kampf der Alijews: zurück zu den orientalischen Wurzeln oder europäisch-modern, oder am besten beides? Oder gleich ganz weltoffen, indem man sich die Formel 1 in die Stadt holt und sogar das Fahrerlager vor dem Präsidentenpalast campieren lässt? Alles gleichzeitig ist der Versuch, der zumindest mich nicht überzeugt.
Und alles klinisch rein und hochglanzpoliert, wie nicht nur an den Straßenunterführungen zu sehen, aber an denen besonders deutlich. Macht Eindruck, irgendwie. Nachhaltig reißt es mich allerdings nicht mit, mir ist das unfertige und lebendige Tbilisi lieber.
Abends geht es dann raus zum Tofiq-Bəhramov-Stadion, das Qualispiel der Adlerträger steht an. Vor dem Einlass grenzenloses Chaos, alle wollen durch den einen(!) Eingang. Das lässt Schlimmes erwarten für die Zeit nach dem Spiel, in welcher die Hektik am größten und die Suche nach einem Taxi fast aussichtslos scheint. Das Spiel ist von überschaubarem Niveau, Aserbaidschan mit dem Herzen dabei aber wenig erfolgreich, Deutschland effizient. 4:1. Der Star des Abends ist das Stadion. Es wurden nachhaltige Veränderungen vorgenommen. Z.B. gibt es mittlerweile Toiletten in ausreichender Zahl. 2009 war das noch deutlich anders. Eine Überdachung gab es seinerzeit auch noch nicht, die ist mittlerweile über das ganze Stadion gezogen und die Konstruktion nicht unspannend. Ein paar Logen noch, die größte natürlich für den Präsidenten. Dabei ist der ursprüngliche Charakter erhalten geblieben. Nur die Flutlichtmasten gibt es nicht mehr, aber das war auch irgendwie zu erwarten bei einem 10-Millionen-Manat-Umbau.
Mitten in der Nacht geht dann der Flieger für Robin und mich. Noch einen weiteren Tag in Baku brauch nun keiner von uns, blöd nur, dass SchAppi für länger gebucht hat.