MOSKAU – Oktober : 2009

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Mehr als 20 Jahre ist es her, dass ich in Moskau war (1986 war es, um genau zu sein). Dementsprechend hibbelig war ich auch nach Bekanntgabe der Termine für die WM-Quali-Spiele unserer Nationalmannschaft, denn es sollte in den Herbstferien nach Moskau gehen.

Visa- und Ticketfrage sind irgendwann geklärt und so gilt es nur, rechtzeitig nach Düsseldorf zu kommen, womit ich der einzige der Braunschweiger Gruppe bin, der sich für den westlichen Abflugort entschieden hat, was logistische Gründe hat, da bei Arbeit bis zum Abend davor ein Transfer nach BS nicht wirklich sinnvoll gewesen wäre.

Düsseldorf also und damit Ankunft in Домодедово. Von Reisepasskontrolle über Geldtausch bis hin zu Ticketkauf für den Aeroexpress passt alles ganz hervorragend. Vierzig Minuten braucht der Aeroexpress bis in die City. Ein paar Stationen mit der Metro noch und ich bin keine zwei Stunden nach Ankunft am Fuße des Roten Platzes. Bei den Ausmaßen dieser Stadt erwähnungswürdig. Erwartungsgemäß treffe ich Basti und Robin, welche eine halbe Stunde vor mir in Moskau gelandet sind und dementsprechend eine halbe Stunde vor mir an der vereinbarten und gebuchten Adresse sind. Eigentlich soll ja noch Henning zu unserer Gruppe gehören, doch eine Bänderdehnung und damit verbundene Krankschreibung machen dies bedauerlicherweise unmöglich. So suchen wir also zu dritt die Unterkunft. Leider ist weit und breit kein gebuchtes „Golden Ring Hostel“ zu finden; an der angegebenen Adresse ist ein passabler Schnellimbiss, aber eben kein Hostel. Hilfe naht nicht, denn keiner der angesprochenen Leute kann uns nur ansatzweise helfen. Meine einen Tag zuvor von Dtl. aus getätigten telefonischen Versuche zeigen auch keinen Erfolg. Unsere anfängliche Irritation steigert sich langsam in Ratlosigkeit und Wut. Ein letzter Versuch ist die erneute Anwahl sämtlicher uns zur Verfügung stehender Nummern mit allen nur erdenkbaren Vorwahlkombinationen. Nix. Wir fangen an, unrealistische Übernachtungs-Überlegungen anzustellen, plötzlich unterbrochen vom Summen meines Telefons; eine der Nummern passte dann wohl doch: In zehn Minuten werden wir an obiger Adresse abgeholt. Aufatmen bei uns, welches sofort wieder den unsicheren Fragen weicht, wie viel Stationen wir dem Kollegen wohl nun folgen werden müssen. Denn natürlich ist unser Hostel nicht in der Straße, was uns nach dieser Odyssee aber eigentlich schon klar ist. Aber es dauert nur vier Stationen, dann ist die Белорусская erreicht und weitere fünf Minuten weiter unsere Unterkunft. Diese ist kein Hostel, aber umso geiler!

Untergebracht sind wir in der Тверская Ямская 28, keine fünf min von der Metrostation Белорусская in einem besten Appartement für vier Leute, die sich hervorragend über die ganze Wohnung verteilen können, denn es stehen ein ausladender Flur, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit TV, Tisch und Schlafcouch zur Verfügung, sowie ein kleinerer Flur hin zur bestens ausgestatteten Küche, Bad und Klo. Dieser kleine Flur hat noch eine weitere Schlafgelegenheit, so dass wirklich sehr komfortabel und in einer jeweils anderen Ecke gepennt werden kann. Um die Ecke ein 24-h-Supermarkt, bestens also. Die Frühstücksfrage ist also geklärt.

Die Bezahlung der Unterkunft wird auf die unorthodoxeste Art erledigt, die ich bisher bei Reisen erleben durfte. Schlüssel und bestätigendes Papier sollen gegen Bares ausgetauscht werden, was wir natürlich nicht ausreichend auf Tasche haben, hatten uns da eher auf Kreditkartenzahlung eingerichtet. Kein Problem für Sergej; nachdem er uns den Weg zur nächsten Bank gewiesen hat, unterschreiben wir noch an Ort und Stelle den Vertrag und händigen ihm das Bargeld aus, live gefilmt von den Überwachungskameras der Bank. Ich bin immer noch einigermaßen erstaunt, das uns bei diesem Deal nicht gleich einer weggeheftet hat. Nach so viel Aufregung brauchen wir eine Stärkung. Wir klappern ein paar Lokale ab, von denen uns keines nachhaltig überzeugt, satt werden wir dennoch.

Der Länderspieltag steht an und nach dem gestrigen nervtötenden Regen haben wir heute strahlenden Sonnenschein und knackig-trockene Kälte. Wir sind begeistert. Wir werden nicht nass und glänzende Fotomotive sind zu erwarten. Als erstes natürlich der Rote Platz, der mich erneut schwerstens zu beeindrucken weiß, womit ich aber nicht allein bin in unserer kleinen Reisegruppe. Ein 360°-Panorama mit GUM, Basilius-Kathedrale, Kreml-Mauer, Lenin-Mausoleum und Historischem Museum machte Sinn, könnte aber das einzelne Bauwerk jeweils nicht entsprechend würdigen. Größe, Erhabenheit, Würde, Schönheit und Geschichte treffen aufeinander und ergeben ein märchenhaft-phantastisches Gemisch. Ich hatte vergessen, wie großartig dieser Platz ist. Es laufen ja auch einige Stränge zusammen an diesem geschichtsträchtigen Platz: Weltgeschichte, Zeitgeschehen und persönliche Geschichte, Kunst und Architektur und Weite. Zudem ist es ohne Zweifel einer der bekanntesten und schönsten Plätze der Welt. Wer dies nicht nachvollziehen kann, der möge sich bei Gelegenheit eine Weile vor die Basilius-Kathedrale stellen, den Blick auf ihr ruhen lassen und dann ein wenig schweifen lassen; sämtliche Fragen beantworten sich dann von selbst.

Weiter gehen wir über die Große Moskauer Brücke, um die weiteren Außenmauern und Türmchen des Kreml anzuschauen. Es ist grandios. Es bleibt grandios, auch wenn wir mittlerweile nach langem Fußmarsch via Metro den Standort gewechselt haben und nun auf die Universität zulaufen, um im Minimalfall einen Eindruck vom vielzitierten Stalinistischen Zuckerbäckerstil zu bekommen. Der Maximalfall wäre hochzufahren und einen Panoramablick auf Moskau geliefert zu bekommen; war aber wegen der gestrengen Wachposten nicht. Nicht zu ändern, weswegen es gemächlich zurück geht zur Metrostation Университет.

Schnell sind wir wieder an der Station Воробьевы Горы, die direkt über der Moskwa liegt und den idealen Ausgangspunkt abgibt für einen schönen Spaziergang durch die Leninberge hoch zur Aussichtsplattform, von der einem als erstes v.a. das Oлимпийский стадион Лужники zu Füßen auffällt. Herbstlich gülden bestrahlt zeigt sich aber recht schnell, warum die Leninberge für Erinnerungs-, Panorama- und Hochzeitsfotos so beliebt sind; das gebotene Panorama kann sich sehen lassen.

Der Anstoß rückt näher, also bewegen wir uns zum Stadion, weiträumig in Ringen abgesperrt bzw. nur Karteninhabern zugänglich. Zugangskontrollen sind human und so stehen wir knapp eine Stunde vor Anpfiff im Block. Der Support ist von beiden Seiten großartig, dem Spiel angemessen. Man kann auch sagen, ein würdiger Rahmen für ein würdiges Spiel, in dem auf deutscher Seite v.a. Ballack beeindruckt. Es ist die Körpersprache eines Kapitäns von internationalem Format. Er zeigt, wo’s langgeht, er führt die Truppe zum Sieg. Mit Können und Glück werden die zur Qualifikation noch notwendigen Punkte eingefahren. Der anschließende Rückweg zur Metro wird von der Miliz generalstabsmäßig organisiert; ein Block nach dem anderen darf das Stadion verlassen, der Rest muss so lange in den Blöcken ausharren. Das ganze Procedere dauert allerdings eine gute Stunde.

Später suchen und finden wir eine Bar, in der wir uns niederlassen, um auf meinen Geburtstag anzustoßen. Es wird ein denkwürdiger Abend, denn natürlich erweisen wir dem Land unsere Referenz, indem wir dem Nationalgetränk Wodka huldigen. Wir sind eben höfliche Gäste☺. Der Chef hat offensichtlich auch schon den einen oder anderen Wodka geleckert, denn zielsicheres Laufen und Blicken fallen ihm doch sichtbar schwer. Uns dann auch irgendwann, das Tagesziel wird klar erreicht. Bleibt noch die Taxifahrt nach Hause. In jedem Reisführer wird davor gewarnt, unlizenzierte Taxis anzuhalten und mit diesen zu fahren, aber hey, das gilt doch nur für Touristen☺. Also den nächstbesten Wagen angehalten, unser Ziel hingenuschelt und ab geht’s. Alles gut gegangen.

Spät ist’s geworden, daher wird richtig ausgeschlafen. Irgendwann stehen wir vor der Frage, ob nun der Kreml näher inspiziert werden solle oder das Neujungfrauenkloster. In der Kürze der Zeit wird beides eng. Also entscheiden wir uns für ein wohlbekömmliches Балтика 7, immerhin wollen wir am späteren Nachmittag noch zum Eishockey und zuviel Stress muss nun auch nicht sein. Immerhin war das gestrige Programm auch mehr als üppig und wir waren uns sehr schnell einig, dass diese Metropole ganz laut nach einem weiteren Besuch ruft. Insofern sind die beiden Punkte sozusagen verschoben. Maximaler Spaß wird angestrebt und dazu gehört auch, die müden Füße mal hochzulegen. Die Wertung liegt wie immer im Auge des Betrachters. ЦСКА Мосва – Спартак Мосва heißt das Spitzenderby, das 4:2 endet. Der Support ist durchgehend ausgezeichnet, das Spiel – soweit ich das beurteilen kann – steht auf hohem Niveau. Nun habe ich also auch mal dem legendären russischen Eishockey beigewohnt, und das an meinem Geburtstag. Die grundsätzliche Alternative Fußball hätte bedeutet, mit Metro, Bus und Bahn in einen Vorort zu gurken, und darauf hatte keiner von uns Bock.

Weil es uns gestern Abend in der Bar so gut gefallen hat, kehren wir zum Abschluss der Tour erneut dort ein. Heute sind die Tische etwas edler eingedeckt, die Bar ist näher in Richtung Restaurant gerückt. Wahrscheinlich verwandelt sie sich immer am Wochenende in einen Diskoladen. Der Chef ist auch wieder da und heute ist er noch voller. Mal geht er an den Tresen, um sich einen Wodka zu holen, obwohl noch einer auf seinem Tisch steht, mal steht er auf, um sich im Vorraum in Karaoke zu versuchen. Ein absoluter Freak, an dem wir unsere helle Freude haben. Die wird bald noch größer: Eine weitere Runde gibt es von der Theke nicht, es geht auf Feierabend zu. Nicht aber, wenn der Chef der Bedienung in den Rücken fällt; ein unterhaltsames Schauspiel übrigens. Immerhin bekommen wir noch eine Runde und er lässt trotzdem seine Angestellten pünktlich gehen. Zum Abschied werden wir von ihm abgeklatscht. Sehr empfehlenswert der Laden. Hat sich eigentlich jemand den Namen gemerkt?

Am nächsten Tag steht außer Souvenirs und Postkarten nichts weiter an und selbst wenn, wäre es bei dem Regen, den wir jetzt wieder haben, gestrichen worden. Auch das Thema Postkarten wird etwas frustriert drangegeben, da an keinem der vielen Souvenirstände am Roten Platz auch nur annährend was zu finden ist. Wie schon in Baku. Und wie schon in Baku finden wir dies auch hier merkwürdig. Nicht zu ändern. Am winzigen Flughafen Vnukovo (Внуково) geben wir unsere letzten Rubel beim Warten auf den Flieger aus, standesgemäß gehört dazu auch Wodka.

Sandra, Rocky und Robin setzen mich genialerweise noch in Genthin ab, wo ich die restlichen Tage des bisher aufregenden Urlaubs verbringe. Ich wiederhole mich gern: richtig viel Spaß hat’s gemacht, Kurzurlaub vom Feinsten.

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